Verschlüsselt – aber nicht sicher
Von Gerrit Hoekman
Die vor zehn Jahren gegründete Amsterdamer Firma Zivver bietet digitale Systeme zur Übertragung sensibler Daten und Informationen per E-Mail, Chat und Videos an. Wegen der vermeintlich hohen Sicherheit wird Zivver unter anderem in Belgien, Deutschland, Großbritannien und den Niederlanden von Gerichten, Krankenhäusern oder Einwanderungsbehörden genutzt. Im Juni wurde Zivver an das US-Unternehmen Kiteworks verkauft. Ein Deal mit Tücken.
Follow the Money (Folge dem Geld), ein unabhängiges Netzwerk investigativer niederländischer Journalistinnen und Journalisten, berichtete am vergangenen Donnerstag, das Management von Kiteworks bestehe aus ehemaligen Cyberspezialisten der israelischen Armee. Kiteworks-CEO Jonathan Yaron sei früher für die Eliteeinheit 8200 tätig gewesen, ebenso wie andere Führungskräfte, so Follow the Money. Sie alle seien »Asse im Abhören und Knacken verschlüsselter Kommunikationssysteme«.
Das heißt natürlich nicht, dass alle diese Veteranen Informationen direkt nach Tel Aviv weiterleiten, aber die schiere Zahl ehemaliger israelischer Agenten bei Kiteworks ist schon beunruhigend. Und diese »Topleute« erhalten nun Zugriff auf vertrauliche Daten europäischer Bürgerinnen und Bürger. Denn »obwohl Zivver behauptet, diese Dokumente seien verschlüsselt, zeigt eine Untersuchung von Follow the Money, dass das Unternehmen deren Inhalt lesen kann«. Zivver habe das gegenüber dem Journalistennetzwerk auch bestätigt, »betonte jedoch, dass es keinen Zugriff auf die von den Kunden verwendeten Verschlüsselungsschlüssel habe und daher keine Daten an US-Behörden weitergeben könne«.
Nach dem Verkauf von Zivver unterliegen diese Informationen aber dem US-Recht und werden neuerdings von einem Unternehmen mit gut dokumentierten Verbindungen zum israelischen Geheimdienst überwacht. Das bedeutet: Sollten US-Behörden an den Daten interessiert sein, wäre Zivver gesetzlich verpflichtet, sie weiterzugeben, warnt Follow the Money. »Bei dieser Übernahme hätten alle Warnflaggen hochgehen müssen«, sagte Geheimdienstexperte Hugo Vijver, ein ehemaliger Beamter des niederländischen Geheimdienstes AIVD, gegenüber dem investigativen Netzwerk. Er und andere Fachleute fragen sich, warum der Verkauf von Zivver ohne Bedenken der EU-Behörden vonstatten gehen konnte.
Gründe, den Verkauf zu stoppen, gab es genug: In den Niederlanden wird Zivver unter anderem von Gerichten und Anwälten verwendet, um vertrauliche Dokumente zu versenden. Bei Prozessen mit politischem Hintergrund oder wenn es um Drogenkriminalität geht, könnten die USA durchaus darauf aus sein, »Mäuschen zu spielen«. Auch die niederländische Einwanderungsbehörde nutzt Zivver. In Belgien und Deutschland sind große Krankenhäuser Kunden.
Ferner: »Auf Anfrage von Follow the Money gaben mehrere Regierungsbehörden an, dass die niederländische Herkunft des Unternehmens ein wichtiger Faktor für ihre Entscheidung für Zivver gewesen sei«, so das Journalistennetzwerk. »Außerdem spielte die Tatsache, dass die über Zivver übertragenen Daten auf Servern in Europa gespeichert wurden, eine Rolle bei ihrer Entscheidung.«
Nach dem Verkauf von Zivver in die USA und angesichts der fast allumfassenden Kontrolle, die große US-amerikanische Techunternehmen bereits heute über unsere Kommunikation im Internet haben, empfiehlt der niederländische Experte Bert Hubert bei Follow the Money sarkastisch den Umstieg auf eine fast vergessene analoge Technik: »Wenn Sie etwas Vertrauliches mit einem Gericht oder einer Regierung teilen möchten, sollten Sie eine Schreibmaschine verwenden. Das ist so ziemlich alles, was uns noch bleibt.« Am besten eine mechanische, möchte man hinzufügen.
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