Rückkehr in Ruinen
Von Gerrit Hoekman
Nachdem zwischen der Hamas und Israel vorerst die Waffen ruhen und die israelische Armee sich aus Gaza-Stadt zurückgezogen hat, strömten am Wochenende mehr als eine halbe Million Palästinenser in die Trümmerwüste. Dort sind laut Satellitenbildern zirka drei Viertel aller Gebäude zerstört. Es fehlen Strom, fließendes Wasser und eine funktionierende Infrastruktur. Am Sonntag morgen fuhren die ersten Lastwagen mit Hilfsgütern für die notleidende Bevölkerung über den ägyptischen Grenzübergang bei Rafah in den Gazastreifen, berichtete der Sender France 24. Der Übergang soll auch bald wieder für Fußgänger geöffnet werden, berichteten ägyptische und israelische Quellen unisono.
In Israel versammelten sich am Sonnabend abend in Tel Aviv über 100.000 Menschen auf dem sogenannten »Platz der Geiseln« in Erwartung der Rückkehr der 48 Gefangenen, die sich noch in der Hand der Hamas befinden und von denen noch 20 leben sollen. Die Freilassung soll am Montag um zwölf Uhr Ortszeit beginnen. Im Gegenzug hat Israel zugesagt, 2.000 palästinensische Gefangene zu entlassen. In diesem Zusammenhang stellt sich jedoch die Frage, ob die Hamas überhaupt in der Lage ist, die Leichen aller getöteten Gefangenen an Israel zu übergeben. So glauben Beobachter, dass die Organisation bei einigen der Toten, die möglicherweise Opfer der heftigen israelischen Luftangriffe wurden, gar nicht weiß, wo sich diese befinden.
Ägypten kündigte an, dass sich am Montag mehr als 20 Staatschefs in Scharm Al-Scheich zu einem Gipfeltreffen versammeln werden. Unter anderem werden neben US-Präsident Donald Trump der französische Präsident Emmanuel Macron, der britische Premierminister Keir Stamer, der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan, die italienische Regierungschefin Giorgia Meloni und ihr spanischer Amtskollege Pedro Sanchez sowie UN-Generalsekretär António Guterres erwartet. Auch Bundeskanzler Friedrich Merz will anreisen. »Deutschland wird sich für die Umsetzung des Friedensplans einsetzen und sich zunächst auf die Aufrechterhaltung eines stabilen Waffenstillstands und die Bereitstellung humanitärer Hilfe konzentrieren«, hieß es aus dem Bundeskanzleramt. In dem Seebad am Roten Meer hatten Ägypten und Katar den Waffenstillstand zwischen der Hamas und Israel vermittelt, der am Montag in ein Abkommen zur Beendigung des Krieges in Gaza münden soll.
Ob das nachhaltig gelingt, ist zweifelhaft, denn es sind längst nicht alle Streitpunkte geklärt. Israels Verteidigungsminister Israel Katz etwa fordert die komplette Zerstörung des Tunnelsystems unter dem Gazastreifen, sobald die israelischen Geiseln frei sind. Auf der anderen Seite betont die Hamas, dass sie in Zukunft beim Regieren und Verwalten des Gazastreifens keine Rolle mehr spielen will. Sie scheint bis jetzt aber nicht gewillt, sich vollständig entwaffnen zu lassen.
Nach BBC-Informationen hat die Hamas rund 7.000 Mitglieder einberufen, in die Gebiete vorzurücken, die Israel geräumt hat. Sie sollen gegen Kriminelle und Kollaborateure mit Israel vorgehen. Am Sonnabend soll es in Gaza-Stadt zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen der Hamas und der einflussreichen Familie Durmusch gekommen sein. »Wir können Gaza nicht der Gnade von Dieben und Milizen überlassen, die von der israelischen Besatzung unterstützt werden«, zitierte BBC am Sonnabend einen nicht namentlich genannten Hamas-Funktionär. Solange die Besatzung anhalte, werde die Hamas ihre Waffen behalten.
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