Kontinuierlicher Notstand in Südafrika
Von Christian Selz, Kapstadt
Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa hat für sein Land einen »ökonomischen Notstand« erklärt. Der Staats- und Regierungschef, dessen African National Congress (ANC) seit 2024 eine »Regierung der Nationalen Einheit« mit neun weiteren Parteien bildet, stellte zum Abschluss einer Sitzung des Nationalen Exekutivrats seiner Partei einen Zehnpunkteplan vor, mit dem der ANC der Krise Herr werden will. Neben seit Jahrzehnten beschworenen Absichten wie Korruptionsbekämpfung oder Förderung kleiner und mittelständischer Unternehmen geht es darin explizit auch um Schutzzölle für Schlüsselindustrien und eine Neuausrichtung des Außenhandels.
Südafrikas Wirtschaft wächst seit Jahren langsamer als die Bevölkerung. Erschwerend kommt hinzu, dass das Land infolge von dreieinhalb Jahrhunderten Kolonialismus und Apartheid weltweit die höchste Ungleichverteilung von Reichtum aufweist. Der neoliberale Weg, den der ANC noch während der Amtszeit von Nelson Mandela nur zwei Jahre nach Beginn der demokratischen Ära mit seinem 1996 vorgestellten Programm Growth, Employment and Redistribution (GEAR) eingeschlagen hatte, führte durch den Wegfall von Zöllen zum Zusammenbruch ganzer Industriezweige, zu Massenentlassungen und anhaltend niedrigen Löhnen. Auch bei den Einkommen gibt es heute weltweit kein Land mit größerer Ungleichheit als Südafrika. Die daraus resultierende niedrige Kaufkraft erschwert den Aufbau eines lokalen Dienstleistungssektors. Eine Folge all dessen sind konstant hohe Arbeitslosenzahlen von derzeit 33 Prozent insgesamt und 45 Prozent bei jungen Menschen.
Zumindest in der Zollfrage scheint bei Ramaphosa nun Umdenken einzusetzen. »Anhaltendes niedriges Wirtschaftswachstum, hohe Arbeitslosigkeit und die Auswirkungen globaler Handelsinstabilitäten zwingen uns zu handeln«, erklärte der Staats- und Parteipräsident zum Abschluss des Treffens der ANC-Führung. Teil seines Plans ist etwa der »Wiederaufbau unserer Chrom- und Manganindustrie«. Dazu sollen Exportzölle auf die beiden Rohstoffe sowie zugleich »defensive Zölle auf Dumpingimporte« eingeführt werden. Darüber hinaus kündigte Ramaphosa eine »beschleunigte Diversifizierung unserer Handelspartner« sowie eine verstärkte Teilhabe in der Afrikanischen Freihandelszone AfCFTA an. Sowohl auf dem eigenen Kontinent als auch in andere Länder der BRICS-Gruppe will Südafrika seine Exporte ausweiten.
Ramaphosas Ankündigungen dürften die vorweggenommene Antwort auf den erwarteten Wegfall des zollfreien Zugangs zum US-Markt für eine Reihe südafrikanischer Exportgüter sein. Besonders Obstbauern und Automobilproduzenten, deren Produkte bisher unter die Regularien des US-amerikanischen African Growth and Opportunity Act (AGOA) fielen und die bevorzugten Zugang zum dortigen Markt erhielten, befürchten heftige Einbußen. Momentan verhandeln Vertreter afrikanischer Staaten zwar noch mit dem Regime in Washington, um eine einjährige Ausdehnung der Regularien zu erreichen, die Erfolgsaussichten sind aber insbesondere für das von US-Machthaber Donald Trump immer wieder attackierte Südafrika gering. Derweil sind die ersten Folgen der bereits eingeführten US-Strafzölle schon spürbar. Mercedes-Benz Südafrika etwa, das maßgeblich für den US-Markt produziert, stoppte im gesamten Juli vollständig die Produktion in seinem Werk in der Stadt East London.
Südafrika leidet aber auch unter selbst verursachten Problemen, die Ramaphosa nun ebenfalls angehen will. Die Punkte 1 und 2 seines Plans betreffen Stromversorgung und Logistik und damit die Krisen beim Stromversorger Eskom sowie dem Schienenfracht- und Hafenbetreiber Transnet. Beide Konzerne sind vollständig in staatlicher Hand, wurden infolge des neoliberalen Umbaus jedoch zunächst ihrer eigenen Kernkapazitäten beraubt und von privaten Dienstleistern abhängig gemacht. An dieser Schnittstelle zur Privatwirtschaft setzten korrupte Netzwerke an. Ramaphosa verspricht nun subventionierte Strompreise für Metallschmelzen, einen Ausbau des Stromnetzes und die Wiederbelebung des Logistikers ausgerechnet durch private Investoren. Die Korruption will er dadurch bekämpfen, dass er einen »War Room« in seinem Präsidialbüro einrichtet. Eine strukturelle Antwort auf die Probleme ist eine solche Machtkonzentration selbstredend nicht, sondern eher das Eingeständnis, dass der Staatschef niemandem mehr vertraut als sich selbst.
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