Konkurrenz von links
Von Christian Bunke
Wenn die derzeit laufende Parteitagssaison in Großbritannien eines gezeigt hat, dann die tiefe strukturelle Krise von Labour-Partei und Konservativen, den beiden traditionellen Regierungsparteien. Sie sehen sich mit erstarkender Konkurrenz sowohl von rechts als auch von links konfrontiert. Im rechten Lager existiert eine mit großen finanziellen Ressourcen ausgestattete außerparlamentarische Bewegung, deren parlamentarischen Arm die vom ehemaligen Investmentbanker Nigel Farage geführte Partei Reform UK bildet.
Im linken Lager gibt es seit Ende des Sommers Bewegung durch zwei Phänomene: Zum einen die von den ehemaligen sozialdemokratischen, nun »unabhängigen« Unterhausabgeordneten Zarah Sultana und Jeremy Corbyn geplante neue Partei »Your Party«, die Ende November trotz einiger Startschwierigkeiten ihren Gründungsparteitag anstrebt. Die Rede ist von 700.000 Interessenten, die online ein Unterstützungsformular ausgefüllt haben sollen. Öffentliche, im Namen der Partei von verschiedenen linken Gruppen organisierte Veranstaltungen hatten bislang tatsächlich großen Zulauf von Dutzenden bis Tausenden teilnehmenden Personen. Der Gründungsparteitag wird Aufschluss darüber geben, wie viele die neue Partei tatsächlich mobilisieren kann, und inwieweit sie ihr Potential in tragfähige Strukturen wird gießen können.
Und dann sind da noch die Grünen in England und Wales. Sie haben seit Anfang September mit Zack Polanski einen neuen Parteichef, der einen internen Richtungswahlkampf für sich entscheiden konnte. Mit seiner Wahl entschied sich die grüne Mitgliedschaft für einen Kurs, der, in den Worten von Polanski, Themen von Umwelt- und sozialer Gerechtigkeit in den Mittelpunkt stellen soll. Während seines Wahlkampfes konnte Polanski, der einer jüdischen Familie aus dem Großraum Manchester entstammt, mit offensivem Auftreten in den sozialen Netzwerken punkten. Dort zeigte er klare Kante für eine linke Sozialpolitik, entkräftete rassistische Parolen und entlarvte den bürgerlichen Klassencharakter von Personen wie Nigel Farage. Außerdem bezog er Stellung gegen den Genozid im Gazastreifen durch die israelische Armee. Positionierungen gegen trans Personen, wie es sie in früheren Zeiten bei den Grünen von England und Wales gab, scheinen mit dem jüngsten Parteitag in Brighton ebenfalls der Vergangenheit anzugehören. Eine Solidaritätserklärung mit dieser in Großbritannien zunehmenden staatlichen Repressionen ausgesetzten Minderheit wurde dort einstimmig angenommen.
Polanski ist angetreten, mit einem »ökologischen Populismus« Politik zu machen. Am 9. September berichtete der Blog »Left Foot Forward«, Polanski strebe an, die Gewerkschaften für die Grünen zu gewinnen. In Reden hat er zudem seine Hand in Richtung »Your Party« ausgestreckt. Ob und wie eine zukünftige Allianz zwischen beiden Kräften möglich sein könnte, ist derzeit aber ungewiss. Seit der Wahl Polanskis gibt es laut Angaben der Partei einen Mitgliederzuwachs. Die Zahl soll demnach von rund 45.000 auf knapp 90.000 Personen angewachsen sein. Bei vielen Neumitgliedern der Grünen scheint es sich um ehemalige Aktive aus der Labour-Partei der Ära von Jeremy Corbyn zu handeln, die nach der Zerstörung dieses Projekts zeitweilig in der Passivität verschwunden waren.
Diese und andere Entwicklungen spiegeln das Bedürfnis vieler Menschen wider, einen neuen Organisierungsversuch zu wagen. Allerdings sind auch die Grünen nicht ohne Widersprüchlichkeiten. In den vergangenen, von Kürzungspolitik geprägten Jahrzehnten haben sie sich auf lokaler und regionaler Ebene oft gemütlich eingerichtet. Grüne Lokalpolitiker tragen kommunale Einsparungen überwiegend mit, wenn auch mit Bauchschmerzen. Ebenso haben sie Wahlbündnisse mit anderen linken Kräften bislang verweigert. Es wird spannend, zu sehen, ob sich dies nun ändert.
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