Von Erniedrigung zum Widerstand
Von Fatma Chaouch und Malika Salha
Im Sudan führt der Machtkampf zwischen Armee und den »Rapid Support Forces« (RSF) seit April 2023 zu einer der schwersten humanitären Krisen der Welt. Nahezu 13 Millionen Menschen mussten fliehen, Städte wie Al-Fascher stehen unter Belagerung der RSF, Hunger und Krankheiten breiten sich aus, Hilfslieferungen bleiben blockiert. Frauen und Mädchen sind in besonderem Maße betroffen: Amnesty International und »Ärzte ohne Grenzen« dokumentieren systematische Vergewaltigungen, sexuelle Sklaverei und andere Formen der Erniedrigung. Der Krieg wird nicht allein um Territorien geführt – er greift auch die Körper an.
Im Krieg werden Frauenkörper zum Ziel. Doch in den Stimmen der Frauen liegt Widerstand, den die Gewalt nicht verstummen lässt. Schon vor dem April 2023 galten über drei Millionen Frauen und Mädchen im Sudan als gefährdet, Opfer geschlechtsbezogener Gewalt zu werden. Heute sprechen die Vereinten Nationen von mehr als zwölf Millionen Menschen im Sudan, darunter zunehmend auch Männer und Jungen, die einem hohen Risiko ausgesetzt sind.
Über Jahrhunderte hinweg wurde sexualisierte Gewalt in Konflikten stillschweigend als unvermeidbar hingenommen, wie es die UNO 2012 charakterisierte. Erst die Stimmen von Frauen in Ruanda und Bosnien, die in den 1990er Jahren das Unsagbare aussprachen, machten es möglich, dass internationale Tribunale Vergewaltigungen als Verbrechen gegen die Menschheit anerkannten. Das Ruanda-Tribunal stellte fest, dass Vergewaltigung ein Akt des Genozids sein kann; das Jugoslawien-Tribunal erkannte sexuelle Sklaverei als Kriegsverbrechen. Mit dem Römischen Statut von 2002 wurde diese Erkenntnis ins Völkerrecht eingeschrieben: Vergewaltigung, sexuelle Sklaverei oder erzwungene Schwangerschaft gelten seither als Kriegsverbrechen und in bestimmten Fällen als Genozid.
Heute, drei Jahrzehnte später, sind es Frauen im Sudan, die über die Kriegsverbrechen berichten, die sie erlebt haben. Layla*, eine von ihnen, berichtete dem UN-Bevölkerungsfonds (UNFPA) nach ihrer Haft in Khartum: Jede Nacht habe sie die Schreie der Frauen gehört, »19 Tage lang«. Eine andere junge Frau wurde nach einer Vergewaltigung in einer Klinik bewusstlos auf die Straße gelegt und überlebte nur durch Zufall. Viele Betroffene haben keinen Zugang zu medizinischer oder psychologischer Versorgung. Jede Überlebende berichtet von schwersten körperlichen und seelischen Verletzungen, die ganze Familien zerstören.
Sexualisierte Gewalt ist nicht die Tat von Männern, die ihre Triebe nicht beherrschen. Sie ist ein kalkulierter Akt, der demütigen, zerstören und die soziale Ordnung brechen soll. Die argentinische Anthropologin Rita Laura Segato beschreibt sie als »Verweiblichung« des Gegners, eine Zurschaustellung von Männlichkeit, die sich erst durch Erniedrigung bestätigt. So wird Vergewaltigung zur Sprache der Macht, zum Ritual der Unterwerfung, das sich tief in Körper, Familien und Erinnerung einschreibt.
Auch unsere alltägliche Sprache verrät diese Logik. Armeen »dringen ein«, Städte werden »erobert«. Ebenso ist von Frauen die Rede, die »erobert« werden, in die »eingedrungen« wird, als wären sie Städte im Kriegsgebiet. Diese Metaphern zeigen, wie selbstverständlich der weibliche Körper als Territorium gedacht wird.
Die guatemaltekische Aktivistin Lorena Cabnal bezeichnet das als Cuerpo-Territorio (Körper-Territorium): der Frauenkörper als erstes Land, das kolonisiert und verletzt wird, bevor das eigentliche Land erobert wird. Im Sudan ist dies Realität. Sexualisierte Gewalt zerstört, erobert, beutet aus, erzeugt Angst, hinterlässt Traumata, zwingt zur Flucht und destabilisiert ganze Gemeinschaften. Sie ist mehr als ein Angriff auf einzelne – sie ist ein Angriff auf die Möglichkeit von Gemeinschaft.
Die Anerkennung dieser Gewalt als Kriegsverbrechen war ein juristischer Fortschritt, doch Gerechtigkeit bedeutet mehr als Strafe. Sie heißt, die Opfer und auch die Kinder, die durch Vergewaltigungen zur Welt kamen, anzuerkennen. Sie heißt Erinnerung, Wiedergutmachung und die Weigerung, Gewalt aus der Geschichte zu löschen. Gerechtigkeit ist ein Versprechen an die nächste Generation, dass Stimmen wie die von Layla nicht verhallen, sondern Teil des kollektiven Gedächtnisses bleiben.
Im Sudan – wie damals in Ruanda oder Bosnien – zwingen mutige Frauen uns hinzusehen. Sie erinnern uns daran, dass sexualisierte Gewalt nicht das Randgeräusch von Kriegen ist, sondern ihre geheime Grammatik. Der weibliche Körper darf nicht länger der Ort sein, an dem patriarchale und politische Machtkämpfe ausgetragen werden. Und solange die Stimmen der Frauen hörbar bleiben, ist Schweigen keine Option.
*Name geändert
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