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Aus: Ausgabe vom 10.10.2025, Seite 15 / Feminismus
Afghanistan

In die Ehe gezwungen

Afghanistan: Unter der islamistischen Herrschaft werden Mädchen mit Gewalt aus Familien gerissen
Von Yaro Allisat
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Ausnahmsweise ohne männliche Begleitung: Afghaninnen in einer Klinik in Yaka Dokan (23.10.2024)

Schätzungen zufolge haben die Taliban in den vergangenen vier Jahren ihrer Herrschaft in Afghanistan über 5.000 Zwangsheiraten veranlasst. Die UNO warnt, dass das Verbot der Schulbildung für Mädchen und junge Frauen ab der sechsten Klasse darüber hinaus Gewalt, Armut und Suizide befeuert. Die Verordnungen der Taliban schränken Frauen und Mädchen so stark ein, dass diese weit hinter den globalen Maßstäben für menschliche Entwicklung zurückfallen, wie der Afghanistan Gender Index 2024 der Organisation UN Women festhält. Geschätzt wird, dass Frauen 76 Prozent weniger Rechte als Männer in den Bereichen Autonomie, Gesundheit, Bildung und finanzielle Unabhängigkeit haben. Sie können nur 17 Prozent ihrer Menschenrechte wahrnehmen; global liegt der Durchschnitt bei 60,7 Prozent. Die Zahlen zu Gewalt an Frauen sind nahezu dreimal höher als im Rest der Welt. »Ehrenmorde«, Zwangsheiraten, auch im Kindes- und Jugendalter, oder der Baad, der Tausch von Frauen zur Konfliktlösung zwischen Familien, sind unter den Taliban weit verbreitet.

Eine Mutter berichtete vergangene Woche gegenüber dem UN-Medienportal Inter Press News, wie die Taliban unter Androhung von Gewalt ihre beiden jüngeren Töchter mit älteren Männern verheirateten und ihr jeglichen Kontakt zu den Mädchen verboten. Nur unter geheimen Vorkehrungen war es ihr möglich, sie zu treffen: Sie seien abgemagert, voller Blutergüsse und Verletzungen gewesen, ihre 19jährige Tochter sei bereits zum zweiten Mal schwanger.

»Bildung ist eine der besten Schutzmaßnahmen gegen die Zwangsverheiratung von Kindern oder Kinderarbeit«, hieß es in einem Bericht der Kinderrechtsorganisation UNICEF von 2021. Seit der Machtübernahme der Taliban 2021 wird dies Frauen und Mädchen jedoch verwehrt. Auch die afghanische Wirtschaft hat dadurch insgesamt heftige Einschnitte hinnehmen müssen, was die Armut und Nahrungsmittelunsicherheit weiter verstärkt hat. Viele Haushalte leben am Rand des finanziellen Abgrunds, weshalb zwar wieder mehr Frauen in den Arbeitsmarkt eintreten, jedoch ohne jegliche finanzielle Unabhängigkeit von ihren Männern. Die Taliban erließen außerdem die Vorschrift für Frauen, sich komplett zu verschleiern, und ließen Radiosender von Frauen oder Beratungszentren für gesundheitliche oder psychosoziale Hilfe schließen.

Nach dem plötzlichen Truppenabzug der USA und anderer westlicher Mächte im Frühjahr 2021 hatten die Taliban nach 20 Jahren schnell wieder die Macht übernommen. Sie stützen sich als traditionalistisch-islamistische Gruppe unter anderem auf die dadurch verschärften antiwestlichen Sentiments in vielen Teilen der Gesellschaft. Sie betrachten die Rechte von Frauen und Mädchen wie von gesellschaftlichen Minderheiten als westliche Verklärung gegenüber einer vermeintlich traditionellen Ordnung des Islams. Das Regime ist jedoch politisch zunehmend von den Nachbarstaaten isoliert; viele Afghaninnen haben das Land in Richtung Iran, Pakistan oder EU verlassen. Deutschland erkennt die Taliban zwar nicht formal als legitime Regierung an, führt jedoch in Zusammenarbeit mit dem Regime wieder Abschiebungen nach Afghanistan durch. Afghanische Frauen und Mädchen erhalten in Deutschland pauschal den Flüchtlingsschutz. Gleichzeitig warten weiterhin Tausende Afghaninnen mit Aufnahmezusagen aus Deutschland in Pakistan auf ihre Visa, während die großangelegten Abschiebungen der Regierung in Islamabad nach Afghanistan vor allem auch Frauen und Mädchen treffen. Sie haben teils ihr ganzes Leben in dem Nachbarland gelebt und sollen nun – gut ausgebildet oder während ihres Bildungsweges – in die Unmündigkeit abgeschoben werden.

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