Nächstes Kidnapping auf See
Von Ina Sembdner
Es ist ein weiterer Bruch internationalen Rechts durch Israel: Am frühen Mittwoch morgen stoppte die Marine im Verbund mit einem Militärhelikopter die neun Schiffe der »Freedom Flotilla Coalition« (FFC) und der Organisation »Thousand Madleens To Gaza« rund 200 Kilometer vor der blockierten palästinensischen Enklave. 145 Mediziner, Journalisten, Parlamentarier und Aktivisten aus 25 Ländern wurden von den Einsatzkräften festgenommen. »Entführt« wurde auch »die lebenswichtige Hilfe im Wert von über 110.000 US-Dollar in Form von Medikamenten, Beatmungsgeräten und Nahrungsmitteln, die für den Gazastreifen bestimmt waren«. Ihr Verbleib ist nach Angaben der FFC unbekannt. Vom israelischen Außenministerium hieß es lapidar und mit einer eigenwilligen Rechtsauffassung zum Vorgehen in internationalen Gewässern: »Ein weiterer vergeblicher Versuch, die legale Seeblockade zu durchbrechen und in eine Kampfzone einzudringen, endete ohne Ergebnis.« Die Inhaftierten würden schnellstmöglich in ihre Heimatländer abgeschoben.
Die Flotte aus Segelschiffen war zusammen mit dem Passagierschiff »Conscience« Ende September von Catania (Sizilien) und Otranto (Süditalien) aufgebrochen, um rechtzeitig nach der schon damals zu erwartenden Entführung der Mitglieder der »Global Sumud Flotilla« (GSF) einzuspringen, und sich ihrerseits sowohl symbolisch als auch praktisch für die Schaffung eines humanitären Korridors einzusetzen. Zaher Birawi, Vorsitzender des in London sitzenden Internationalen Komitees zur Durchbrechung der Belagerung des Gazastreifens, erklärte am Mittwoch, »die israelische Piraterie in internationalen Gewässern und die israelischen Verbrechen gegen Zivilisten und Aktivisten würden uns nicht davon abhalten, unsere humanitären, rechtlichen und politischen Bemühungen fortzusetzen«. Auch die GSF mobilisiert weiter. Auf X schrieb die Organisation, dass sich 26.000 Menschen um einen Platz in der Flotte bemüht hätten, aber nur rund 450 teilnehmen konnten. »Wir haben die Zahlen auf unserer Seite«, so die GSF. »Wir müssen nur Ressourcen mobilisieren und sicherstellen, dass diesmal tatsächlich 1.000 Boote nach Gaza fahren.«
Nachdem es am Dienstag zunächst so ausgesehen hatte, als wenn alle Aktivisten der GSF wieder freigelassen worden wären, meldete die Organisation am Mittwoch mittag, dass sechs Teilnehmende aus Marokko, Norwegen und Spanien weiterhin illegal in Haft seien. Darunter auch der frühere Präsident der marokkanischen Menschenrechtsvereinigung AMDH, Aziz Rhali. In diesem absurd anmutenden Fall sandte die königstreue »Organisation für Menschenrechte und Korruptionsbekämpfung« in der vergangenen Woche einen »dringenden offenen Brief an die israelischen Streitkräfte«, Rhali und die anderen Aktivisten aus dem Königreich strafrechtlich zu verfolgen, wie die Nachrichtenseite Yabiladi am Freitag berichtete. Er habe sich der Flotte angeschlossen, »ohne dies den zuständigen marokkanischen Behörden mitzuteilen oder mit ihnen abzustimmen« und sympathisiere mit der sahrauischen Befreiungsfront Polisario.
Während die Aktivisten zwar misshandelt, aber lebend zurückkehren konnten, sind palästinensische Gefangene in israelischen Gefängnissen weiter der Folter ausgesetzt, grundlegende Rechte werden ihnen verweigert. Ein seit Mai 2024 inhaftierter 22jähriger ist der 78. Gefangene, der seit dem 7. Oktober 2023 in Haft gestorben ist. Wie die Palästinensische Gefangenenvereinigung mitteilte, sei Ahmed Khdeirat aus der besetzten Westbank am Dienstag aufgrund vorsätzlicher medizinischer Fahrlässigkeit verstorben. Er befand sich demnach, wie rund 3.544 weitere Palästinenser in sogenannter Verwaltungshaft. Dieses Konstrukt ermöglicht es, Palästinenser ohne Anklage oder Gerichtsverfahren für verlängerbare Zeiträume zwischen drei und sechs Monaten auf der Grundlage von geheimen Beweisen, die selbst dem Anwalt des Häftlings nicht zugänglich sind, in Haft zu halten. Nach den neuesten Zahlen der Gefangenenvereinigung Addameer befinden sich derzeit insgesamt 11.100 palästinensische politische Gefangene in israelischen Haftanstalten, darunter 400 Minderjährige.
Tageszeitung junge Welt am Kiosk
Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Ähnliche:
- Maisara Baroud14.05.2025
Verbunden im Antikolonialismus
- Hasan Mrad/DeFodi Images/picture alliance12.02.2025
Antikolonialismus aus der Kurve
- Abdel Kareem Hana/AP/dpa07.02.2025
Nakba geht weiter
Mehr aus: Ausland
-
Optimismus am Verhandlungstisch
vom 09.10.2025 -
Plutoniumvertrag gekündigt
vom 09.10.2025 -
Schulterschluss im Maghreb
vom 09.10.2025 -
Präsident setzt auf Härte
vom 09.10.2025 -
Kiew fordert »Tomahawks«
vom 09.10.2025 -
»Wir brauchen eine Neugründung des Staates«
vom 09.10.2025