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Aus: Ausgabe vom 30.09.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Großbritannien

Corbyn und Sultana zum zweiten

Nach erstem Disput: Gründungskongress von linker Partei geplant. Annäherung an Grüne, die Mitgliederrekord verzeichnen
Von Dieter Reinisch
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Raufen sich doch noch zusammen und wollen im November eine neue Linkspartei gründen (London, 18.8.2025)

Es soll weitergehen: Am 29. und 30. November ist in Großbritannien der Gründungskongress der neuen Linkspartei »Your Party« geplant. In Liverpool soll dann unter anderem der Name offiziell beschlossen werden. Mit dabei sind weiterhin Jeremy Corbyn und die im Juli aus Labour ausgetretene Abgeordnete Zarah Sultana.

Das Parteiprojekt stand zuletzt auf der Kippe. Corbyn und Sultana repräsentieren unterschiedliche Fraktionen. Vor allem in Fragen des Parteiaufbaus und der demokratischen Strukturen unterscheiden sie sich deutlich. Sultana kritisierte seit August scharf die zentralistische Führung Corbyns während seiner Zeit als Labour-Chef. Doch nicht nur die Frage der Einbindung der Basis in die neue Partei unterscheidet die beiden, Sultana sieht auch politische Differenzen: Sie sei deutlicher antizionistisch und ein »Kniefall vor Antisemitismusverleumdungen«, wie ihn Corbyn als Labour-Chef durchgeführt habe, würde es bei ihr nicht geben, ließ sie über die Medien ausrichten.

Doch allen voran repräsentieren die beiden Politiker unterschiedliche Generationen und Traditionen: Corbyn die traditionelle Labour-Linke des 20. Jahrhunderts, Sultana die jüngere Generation der Unterstützer. Viele davon kommen aus dem Umfeld der Kampagnengruppe »Momentum«, die sich zur Unterstützung Corbyns im Wahlkampf zum Labour-Chef formiert hatte. Wenn Sultana nun sagt, Corbyn habe »dieses große Potential nicht genutzt«, spricht sie stellvertretend für diese Zehntausenden Aktivisten, die sich zuletzt wieder frustriert von Labour unter Keir Starmer abgewendet hatten.

Mitte September brach der Konflikt dann offen aus. Corbyn verkündete öffentlich, ein Mitgliederportal, das Sultana bewerbe, sei »nicht autorisiert«. Die konterte: Die Partei werde von einem »sexistischen Männerverein« geführt. Zwei Wochen später wollen sich die beiden zumindest öffentlich wieder versöhnt haben und weiterhin gemeinsam an einer neuen Partei bauen: »Unsere Aufgabe ist zu wichtig, als dass wir scheitern können«, schrieb Sultana auf X.

Die Querelen der vergangenen Woche hinterlassen bei vielen aber Fragezeichen, ob das Parteiprojekt nun doch zum Erfolg geführt werden kann. Die Protagonisten hinter »Your Party« üben sich in Zweckoptimismus: »Tausende Mitglieder werden sich zur demokratischsten, repräsentativsten und inklusivsten Konferenz in der britischen Politikgeschichte versammeln«, wurde bekanntgegeben.

Die Wortwahl deutet darauf hin, dass sich der Sultana-Flügel durchgesetzt hat. Ein weiterer Hinweis dafür: Kurz vor Bekanntgabe des Parteitags entschuldigte sich Corbyn in einem Social-Media-Video für die »Verwirrung« um die Einführung eines neuen Mitgliedschaftsportals für die Partei durch Sultana. Er habe einige »angespannte Tage« erlebt, in denen »wir uns nicht mit Ruhm bekleckert haben«.

Diese haben offenbar ausgereicht, um der Green Party einen Aufschwung zu verpassen: Nach dem öffentlichen Disput gingen die Mitgliedsanträge nach eigenen Angaben hoch und liegen nun in England und Wales bei über 80.000 – ein Höchststand. Der erst jüngst gewählte Parteivorsitzende Zack Polanski gab sich unmittelbar offen für eine Zusammenarbeit mit »Your Party«, am Montag abend wollte er mit Sultana zusammen in London auftreten. Meinungsforscher gehen davon aus, dass Grüne und »Your Party« um dasselbe Wählerspektrum werben.

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