Zwangsarbeit im Naturidyll
Von Barbara Eder, Wien
Die Lobau ist ein am östlichen Stadtrand von Wien gelegenes Naturschutzgebiet. Grünflächen, Auwälder und alte Donauarme prägen das Gelände – Relikte der ersten Donauregulierung der Jahre 1870 bis 1875, die den reißenden Strom in ein Korsett aus Schotteraufschüttungen und Hochwasserschutzwällen zwängte. Im Zuge weiterer Hochwasserschutzmaßnahmen entstanden von 1972 bis 1988 Donauinsel und Neue Donau. Auf der Höhe des Ölhafens Lobau zweigt davon ein Gewässer ab, das älter ist als das parallel zum Hauptfluss verlaufende Entlastungsgerinne: ein unfertiges Teilstück des Donau-Oder-Kanals (DOK).
Der DOK II ist einer von vier Abschnitten, die im Rahmen eines Großprojekts der Nazis die Donau mit der Oder verbinden sollten. 1939 hatte unter Adolf Hitler die Planung der 323 Kilometer langen Wasserstraße begonnen. Die kaum erschlossene Lobau sollte mit großräumigen Transport- und Industrieanlagen zum »Hamburg des Ostens« ausgebaut werden. Propagandatexte stellten die allumfassende wirtschaftliche Zusammenarbeit »Großdeutschlands« mit der übrigen Welt in Aussicht. In der Ausgabe vom 21. September 1941 des Völkischen Beobachters, dem Kampfblatt der NSDAP, heißt es: »In absehbarer Zeit werden der Donau-Oder-Kanal und der Rhein-Main-Donau-Kanal sowie das Zwischenstück zwischen Pardubitz und Prerau zur Elbe eine Verbindung zwischen Rhein, Elbe, Oder und Donau zu einem Wasserstraßennetz ergeben, das ganz Zentraleuropa in gewaltigem Ausmaß durchziehen und es ermöglichen wird‚ Schiffsladungen ohneweiters von der Nord- und Ostsee bis in die Südstaaten und an das Schwarze Meer und die Frachten dieser Länder auf demselben billigen Wasserweg bis an die Nord- und Ostsee und darüber hinaus zu verschiffen.«
Am linken Ufer der Neuen Donau liegen der Ölhafen und die heute von der Österreichischen Mineralölverwaltung (OMV) genutzten Tanklager, errichtet von Zwangsarbeitern. An der Lobgrundstraße, Ecke Raffineriestraße, befand sich 1940 ein Lager für Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter. Im Sommer 1944 wurden Jüdinnen und Juden aus Ungarn nach Wien deportiert und als Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter im »Lager Lobau« der Münchener Baufirma Sager & Woerner ausgebeutet. Zusätzlich dazu existierte im Bereich der Großtanklager das Lager »Wifo-Lobau«. Diesem war ein Bordell angeschlossen, in dem vorwiegend aus Polen verschleppte Frauen zur Prostitution gezwungen wurden. Auf Himmlers Erlass von 1942 hin wurde Sexzwangsarbeit zwecks angeblicher »Produktivitätssteigerung« eingeführt. Die »Dienste« von Sexzwangsarbeiterinnen galten als »Prämie« für die Fleißigen. Krankheiten, Schwangerschaftsabbrüche, physische und psychische Gewalt waren Teil dieser tödlichen Zwangsökonomie.
Die Wiener Bevölkerung wurde angewiesen, jeden Kontakt mit Zwangsarbeitern zu meiden. Widerstand dagegen ist verbürgt: Hermine »Mutter« Dasovsky, die mit ihrem Mann die Gastwirtschaft »Zum schönen Platzerl« nahe der Saltenstraße betrieb, half, wo sie konnte. Sie versorgte sie mit zusätzlichen Lebensmitteln, übermittelte Briefe und stellte Verbindungen zur Außenwelt her. Karl Rössel-Majdan, der 1944 im Lager Lobau interniert war, bestätigte dies später in einem Schreiben, das sein Vater nach Kriegsende als Schutzbrief für Hermine Dasovsky verfasste und an die sowjetischen Befreier adressierte. Mit jeder Milchkanne, die sie zum Lager brachte, widersetzte sie sich der Regel »kein Kontakt zu den Fremdarbeitern«.
DOK II ist heute ein geflutetes Baggerloch, das von Badenden genutzt wird; an den Seiten ragen Eisenschienen wie Knochenreste hervor. DOK I in Ölhafennähe wird industriell genutzt, während DOK III und DOK IV verkauft und bebaut wurden. An der Kreuzung von Lobgrund- und Finsterbuschstraße erinnert ein Mahnmal an die Opfer der Zwangsarbeit in der Lobau. Im Mai 2010 wurde es auf Initiative der Bezirksvertretung Donaustadt eingeweiht, 2008 war der dahingehende Antrag im Bezirksparlament eingebracht und gegen die Stimmen der FPÖ beschlossen worden.
Die Ehrentafel neben dem weißen Obelisken trägt die Inschrift: »Im Gedenken an die Opfer des nationalsozialistischen Terrorregimes 1938–1945. Dieses Mahnmal erinnert im besonderen an jene Frauen und Männer, die in den hier befindlichen Lagern und Einrichtungen während des Zweiten Weltkrieges Zwangsarbeit leisten mussten. Viele von ihnen kamen dabei ums Leben! Niemals vergessen!« Ein Platz in der Seestadt in Wien-Aspern trägt heute den Namen von Hermine Dasovsky.
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