Richtiges Ziel, falsche Adresse
Von Felix Bartels
Ich wollte Ball treten, Ball war nicht da, hab ich Fuß getreten. Rasch schob Tony Yeboah ein Lächeln hinterher. Irgendwann in den Neunzigern war das und markiert den Unterschied zwischen einem Fußballprofi, der sich selbst aufs Korn nimmt, und Aktivisten, die sich ihrer Impulshandlungen hernach noch rühmen. Vom ersten Tag der diesjährigen Vuelta a España an waren links und rechts der Strecke die Farben Palästinas zu sehen. Die Protestierenden blieben – das muss erwähnt werden – zum großen Teil friedlich. Eine Rundfahrt, die in Spanien große Bedeutung hat, als Bühne zu benutzen ist mehr als legitim, es ist notwendig.
Die israelische Staatsführung ist entschlossen, die Bevölkerung von Gaza für den Terrorakt vom 7. Oktober 2023 büßen zu lassen. Ein Fall von Kollektivhaftung also. Die Menschen in Gaza haben die Wahl zwischen Bomben und Hunger, als Ausweg wird ihnen eine unumkehrbare Vertreibung angeboten. Viele Fahrer und Veranstalter haben in den ersten Tagen der Vuelta ihre Sympathie für die Proteste bekundet, und selbst, als die Demonstrationen zum Happening wurden, flankierte man die Kritik noch mit Verständnis. Drei Etappenankünfte mussten nach Randalen im Zielbereich annulliert werden, das Team Israel-Premier Tech (IPT) erhielt Morddrohungen, der Tourfunk wurde gehackt, Fahrer vom Streckenrand aus bei 55 Kilometern pro Stunde zu Fall gebracht, Reißzwecken und Flaschen auf die Straße geworfen. Am Sonntag musste die letzte Etappe nach Madrid gecancelt werden, wer sich an den Demonstrierenden vorbeischleusen wollte, sah sich körperlichen Angriffen ausgesetzt. Rundfahrtsieger Jonas Vingegaard – auch er hatte sich mehrfach für die Demonstrationen ausgesprochen – brachte die Absurdität auf den Punkt: »Was wollen die von uns Fahrern?«
Die Aktivisten haben den Fuß getreten, weil der Ball nicht da war. Wobei auch das so ganz nicht stimmt. In Madrid befindet sich auch die Botschaft des Staates Israels, fußläufig erreichbar. Wer nach der richtigen Adresse sucht, hätte dort fündig werden können. Es fällt nicht schwer, sich in die Lage der Aktivisten zu versetzen. Ihre Wut kommt aus Ohnmacht, diejenigen nicht greifen zu können, die den Krieg betreiben. Doch recht haben und im Recht sein, ist zweierlei.
Politisch fällt auf, dass die Aktionen der letzten drei Wochen ihr Ziel verfehlt haben. Es sollte darum gehen, Menschen zu erreichen, die noch nicht aktiviert sind. Die Störaktionen hatten – anders als die Demonstrationen – abschreckende Wirkung.
Handlungen sind nicht bloß, sie bedeuten was. Anlass für die Aktionen war auch die Teilnahme des Teams IPT an der Rundfahrt. Im Gegensatz zu UAE und Bahrain Victorius, die von politisch auch nicht eben makellosen Staaten finanziert werden, ist IPT nicht staatseigen. Der Rennstall gehört dem kanadischen Milliardär Sylvan Adams, der sich als Zionist bezeichnet und gute Kontakte zu Benjamin Netanjahu pflegt, über direkte Verwicklungen in den militärisch-industriellen Komplex Israels allerdings ist nichts bekannt. Man kann die Proteste als Symbolpolitik verstehen – zugleich folgen sie einer Logik der Kollektivhaftung, indem Menschen, die für die Handlungen eines Staates nicht verantwortlich sind, für diese verantwortlich gemacht werden, und das schließt auch den Rest des Pelotons mit ein, Fahrer und Betreuer der anderen Teams, denn bei den Aktionen ließ sich zwischen bestimmten Fahrern und dem Rest überhaupt nicht unterscheiden.
Kollektivhaftung scheint wieder schwer in Mode zu sein. Vor ein paar Monaten forderte eine Gruppierung des BDS den Boykott des israelkritischen Films »No Other Land«, weil zwei der vier Regisseure die israelische Staatsbürgerschaft besitzen und nicht regierungskritisch genug seien. Nach dem 7. Oktober waren Menschen mit palästinensischen Wurzeln in vielen Teilen der Welt Repressionen ausgesetzt. Die israelische Regierung hat Kollektivhaftung zur Grundlage ihrer Politik gemacht. Russische Künstler und Sportler wurden nach dem Überfall auf die Ukraine von Veranstaltungen ausgeschlossen. Die Liste ließe sich bis zum Ende dieser Seite fortschreiben. Alle diese Fälle eint, dass dort eine Übertragung stattfindet von tatsächlich Verantwortlichen auf Personen, die mit diesen Verantwortlichen identifiziert werden. Sie eint ferner, dass die Übertragung im Glauben bester Absichten passiert, dass man sich gewissermaßen im Recht fühlt, regressive Formen der Politik zu treiben, weil man moralisch im Recht ist. Tatsächlich zelebriert man eben das, wogegen zu sein man glaubt. Tatsächlich sabotiert man eine dringend nötige Bündnispolitik, das Erreichen von Leuten, die nicht Teil der eigenen Blase sind.
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