Gegründet 1947 Sa. / So., 01. / 2. November 2025, Nr. 254
Die junge Welt wird von 3054 GenossInnen herausgegeben

Allein unter Westberlinern

Von Marco Bertram
bw90_tsvmariendorf.jpg
Diese ganz bestimmte Gemütlichkeit: Heimspiele der Blau-Weißen an der Rathausritze

Noch ein Eierlikörchen?« – »Aber gern doch!« Als ich am Sonnabend abend im Garten eines Reihenhauses in der Nähe des S-Bahnhofs Priesterweg in gemütlicher Runde saß und ein Gläschen Eierlikör nach dem anderen naschte, wurde mir mit einem Mal bewusst, weshalb ich so gern zu den Spielen der Sp. Vg. Blau-Weiß 90 Berlin gehe. Es ist diese ganz bestimmte Gemütlichkeit, die im einstigen Westteil der Stadt in vielen Gegenden erhalten geblieben ist. Während im Ostteil nach dem Fall der Mauer so ziemlich alles umstrukturiert wurde, blieb in manchen Ecken in Wittenau, Friedenau und Mariendorf die Zeit im positiven Sinne stehen. So gibt es zum einen noch ein paar Eckkneipen, in denen bereits vor 1989 bei Ernte 23 ein paar Mollen gezischt und Mariacron kredenzt wurde, und zum anderen kann man Leute treffen, die gelassener und unaufgeregter durch das Leben gehen. Teils echte Unikate, die bereits in den 80ern zu Hertha und Blau-Weiß gingen und bei Bolle für die nächste Auswärtssause nach Homburg und Nürnberg auf dem Transitweg durch die Zone ein paar Paletten 0,33er Büchsenbier einkauften.

Für mich als gebürtigen Ostberliner sind Heimspiele der Blau-Weißen an der Rathausritze echte Zeitreisen und Momente des Sichfallenlassens. So auch am Sonnabend beim Berlin-Liga-Derby gegen den TSV Mariendorf 1897. Nachdem beim Saisonauftakt gegen Polar Pinguin rund 250 Zuschauer eine passable Kulisse gebildet hatten, erhoffte man sich gegen Mariendorf eine ähnlich gute Resonanz. Allerdings schienen all die Einschulungen und das parallel laufende Regionalligaduell BFC Preußen vs. Rot-Weiß Erfurt einige Zuschauer gekostet zu haben. Groundhopper waren nur wenige am Start, vielmehr durfte die typische blau-weiße Stammbesatzung begrüßt werden. Da etliche Blau-Weiß-Fans bereits ein paar Semester hinter sich haben, ist dort das Sitzen »nicht für den Arsch«. Die zwei kleinen neuen Sitzplatztribünen werden dankbar angenommen, und mit Witz und Selbstironie werden die Aktionen auf dem grünen Rasen kommentiert.

Es lief zunächst nicht bombig für Blau-Weiß. Vor rund 120 Zuschauern führten die Gäste bis zur 86. Minute mit 3:1, und die Stammbelegschaft auf den Tribünchen gab keinen Pfifferling mehr auf einen Punktgewinn. Aber siehe da. Rocktäschel machte per Kopf in der 86. Minute das 2:3, und Kohls sicherte in Minute 90 plus eins noch das glückliche 3:3. Heja, Blau-Weiß! Darauf ein paar Bier im gemütlichen Vereinsheim. Im Anschluss fand ich mich mit sechs anderen Blau-Weiß-Fans im besagten Garten wieder. Im Garten verscharrt – wie spaßeshalber angekündigt – wurde ich nicht, vielmehr durfte ich die Westberliner Gastfreundschaft und Gelassenheit in vollen Zügen auskosten. Da sage ich mal einfach andersrum: Lieben Dank! Macht’s gut, Nachbarn!

Tageszeitung junge Welt am Kiosk

Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe. 

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

Mehr aus: Sport