Viel Verständnis, wenig Biss
Von Kristian Stemmler
Franziska Hoppermann weiß, was von ihr erwartet wird. Noch bevor die CDU-Bundestagsabgeordnete zur Vorsitzenden der Enquetekommission zur Aufarbeitung der Coronapandemie gewählt wurde, konstatierte sie gegenüber dpa: »Wir wollen verstehen, nicht verurteilen.« Damit bestätigte Hoppermann die Befürchtungen, die Kritiker schon länger äußern: Eine schonungslose Kritik des staatlichen Coronamanagements und der Verantwortlichen ist von der Kommission, die am Montag in Berlin zur konstituierenden Sitzung zusammenkam, nicht zu erwarten. Das Gremium, dem 14 Abgeordnete und 14 Sachverständige angehören, soll bis Mitte 2027 einen Bericht erarbeiten.
Auch was Hoppermann zu den Aufgaben der Kommission sagte, klang eher weichgespült. Man wolle »Entscheidungen und Prozesse kritisch hinterfragen, die im Lichte der Zeit womöglich Sinn ergaben, sowie Fehler identifizieren«. Aber man wolle auch herausarbeiten, »was gut war«. Der Bundestag hatte die Einsetzung der Enquetekommission im Juli mit den Stimmen von Union, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Linkspartei beschlossen. Grüne und Linke plädierten für einen Untersuchungsausschuss, der mehr Rechte hat und sich auch die Maskendeals des früheren Gesundheitsministers Jens Spahn (CDU) angeguckt hätte. Doch daran hatten Union und SPD, die beide in der Coronazeit in Regierungsverantwortung waren, kein Interesse.
Wenig überraschend begrüßte Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) die Einsetzung der Kommission als »überfälligen Schritt«. Gemeinsames Ziel sei es, »aus der Covid-19-Pandemie zu lernen und die richtigen Schlüsse zur besseren Vorbereitung auf zukünftige Pandemien zu ziehen«, erklärte sie gegenüber der Rheinischen Post (Dienstag). Zu diesem Zweck müsse man »aus Fehlern lernen, die richtigen Fragen stellen und insbesondere die richtigen Konsequenzen ziehen«.
Auch Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) zeigte sich überzeugt, »dass eine konsequente Aufarbeitung eine große Chance auch für unsere Demokratie« sei, um wieder Vertrauen zurückzugewinnen. Exgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) behauptete gegenüber der Rheinischen Post: »Wir sind insgesamt gut durch die Coronapandemie gekommen.« Eine Aufarbeitung »aus der politischen Mitte heraus« sei dennoch wichtig, »damit wir das Feld nicht der kleinen Gruppe der Skeptiker überlassen«.
Wenig kritisch fielen auch die Stellungnahmen der Fraktionen nach der ersten Sitzung aus. SPD-Obfrau Lina Seitzl erklärte, ihr sei eine Beteiligung der Öffentlichkeit wichtig: »Wir arbeiten hier nicht für Akten, sondern wir arbeiten für die Menschen.« Grünen-Obfrau Paula Piechotta betonte, dass in der nächsten Krise Interessen von Kindern und Jugendlichen, Alleinerziehenden, armen, alten und kranken Menschen mehr berücksichtigt werden müssten. Linke-Obmann Ates Gürpinar verwies darauf, dass der ärmere Teil der Bevölkerung von der Pandemie und den staatlichen Maßnahmen, besonders betroffen gewesen sei.
Scharfe Kritik an der Kommission kommt von der BSW-Vorsitzenden Sahra Wagenknecht. Gegenüber dem Portal The Pioneer bezeichnete sie die Kommission am Montag als »Alibiaufklärung«. Dass die Opposition im Bundestag keinen Untersuchungsausschuss eingesetzt hat, sei vor allem ein eklatantes Versagen von Grünen und Linken. »Die Endloslockdowns, die Schulschließungen und der Impfdruck waren zu 100 Prozent verfehlt – mit Spätfolgen bis heute«, sagte die BSW-Chefin.
Kritisch äußerte sich auch Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz. »Die Interessen hochbetagter, pflegebedürftiger und sterbender Menschen spielen bei der Aufarbeitung der Coronapandemie keine Rolle«, sagte Brysch der Rheinischen Post. Das zeige die Zusammensetzung der Enquetekommission. Es sei längst überfällig, »dass die Coronamaßnahmen in der Langzeitpflege auf den Prüfstand gestellt werden«. Bis heute fehlten Anstrengungen, verbindliche Schutzkonzepte für pandemische Notlagen in der Langzeitpflege zu entwickeln, so der Experte.
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