Bildungsgrad vom Geld abhängig
Von Luca von Ludwig
So viele Menschen wie noch nie erlangen in der BRD einen Hochschul- oder Meisterabschluss. Das ist die gute Nachricht. Doch das große Aber folgt im neuesten OECD-Bericht auf dem Fuß: So wenige wie noch nie machen das Abitur oder eine Berufsausbildung. Mit schweren Folgen für das danach anstehende Berufsleben mit entsprechender Einkommenssituation. Als »besonders besorgniserregend« bezeichnet die Organisation diese zentralen Ergebnisse der Studie »Bildung auf einen Blick«, die am Dienstag vorgestellt wurde. 40 Prozent der jungen Erwachsenen bis 34 Jahre hatten demnach zum Jahr 2024 eine »Tertiärbildung« (Uni- oder gleichwertiger Abschluss), ein Plus von immerhin sieben Prozent zu 2019 (der OECD-Schnitt liegt bei 48 Prozent). Zugleich erhöhte sich der Anteil von Jugendlichen ohne Berufsabschluss – entgegen dem Trend – von 13 auf 15 Prozent.
Vor Erwerbslosigkeit schützt zwar keines der Abschlussniveaus, jedoch gehen höhere Abschlüsse mit deutlich höheren Einkommen einher. Ganze 50 Prozent liegt der Verdienst von Menschen mit tertiärem Abschluss über demjenigen von Menschen mit Abschluss im Sekundärbereich, also etwa den einfachen Berufsausbildungen. Damit liegt die BRD unter dem OECD-Schnitt von 54 Prozent. Kritisch wird es auf dem Arbeitsmarkt für jene, die das Bildungssystem verlassen, ohne einen berufsspezifischen Abschluss zu erlangen. Ihnen droht in der OECD-Gesamtschau fast zweimal häufiger Erwerbslosigkeit.
Dabei geht es nicht nur um formale Abschlüsse und Zertifikate. Die Studie erhebt auch Daten zum realen Kompetenzerwerb, unter anderem zum Lesevermögen. Hier zeigt sich für alle betrachteten Länder ein Abwärtstrend. Ein immer größerer Teil der Erwachsenen kann nur kurze, leichte Texte zu vertrauten Themen verstehen. In der BRD trifft dies auf 23 Prozent der 25- bis 64jährigen zu. Das liegt zwar unter dem OECD-Schnitt von 27 Prozent, jedoch ist die Bundesrepublik Spitzenreiter bei den Disparitäten zwischen den Bildungsniveaus. In keinem anderen Mitgliedsland gehen die Testergebnisse zwischen den Inhabern eines tertiären und denen ohne sekundären Abschluss derart weit auseinander.
Das »Bildungskapital« zeigt sich derweil ungebrochen: Etwa 60 Prozent derjenigen mit wenigstens einem Akademikerelternteil erreichen ebenfalls einen tertiären Abschluss, während es bei denjenigen, deren Eltern keine abgeschlossene Sekundärbildung aufweisen, mit gut 20 Prozent deutlich weniger sind. Gerade vor dem Hintergrund der Einkommensungleichheit zwischen den Ausbildungsniveaus zeigt sich hier die Rolle des Bildungssystems bei der Reproduktion gesellschaftlicher Ungleichheiten.
»Deutschland versagt weiterhin bei der Chancengleichheit«, kommentierte die GEW-Vorsitzende Maike Finnern den Bericht. Die politisch Verantwortlichen täten zu wenig, es müsse sich mit Blick auf die Förderung des Bildungssystems an die Selbstverpflichtung aus dem Jahr 2015 gehalten werden, mit zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes an der Finanzierung mitzuwirken, so die Gewerkschafterin weiter.
Bundesforschungsministerin Dorothee Bär (CSU), in deren Zuständigkeitsbereich auch die Hochschulen fallen, feierte bei der Vorstellung des Berichts hingegen die Zuwächse in den sogenannten MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik). Hier sieht der Bericht deutliche Stärken in der BRD, was auch attraktiv für ausländische Studierende sei. Vor dem Hintergrund der jüngsten Eingriffe der US-Regierung in den dortigen Wissenschaftsbetrieb sah die Ministerin vermehrt Chancen, Forscher in die BRD zu holen. Zugleich wolle sie als »Transatlantikerin durch und durch« den Vereinigten Staaten gegenüber auch nicht allzu aggressiv auftreten. Im Hinblick auf die Chancenungleichheit vertröstete Bär unter anderem auf die für nächstes Jahr geplante BAföG-Reform. Dass die meisten jungen Erwachsenen eher die Rückzahlung und die engen Bemessungsgrenzen abschrecken dürften, ließ sie unerwähnt.
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