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Aus: Ausgabe vom 10.09.2025, Seite 5 / Inland
Öffentlicher Nahverkehr

Warnung vor »Stillstand« im ÖPNV

Neuer Vorschlag für Reform des Finanzierungssystems. Bund soll Führung übernehmen
Von David Siegmund-Schultze
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Neue U-Bahn, alte Probleme: Der Nahverkehr ist unterfinanziert (Berlin, 8.9.2025)

In einer besseren Welt würde der Staat hierzulande genügend Mittel zur Verfügung stellen, damit alle Menschen zu geringen Kosten den öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV) nutzen können – und dieser überall zur Verfügung steht, egal ob in der Stadt oder auf dem Land. Doch es wird auf Individualverkehr gesetzt – traditionellerweise ist das Auto der Liebling in der Bundespolitik, seit der »Zeitenwende« stehen auch Panzer hoch im Kurs. Vielleicht können sie ja die Mobilitätskrise lösen. Vorschläge, wie man mit den zu geringen Mitteln für den ÖPNV besser umgehen sollte, werden in einer am Dienstag veröffentlichten Studie der Beratungsfirma für öffentlichen Verkehr KCW unterbreitet. Verdi hatte das Gutachten zusammen mit dem Bündnis Klima-Allianz Deutschland in Auftrag gegeben. Ohne eine »schnelle Reform« des Finanzierungssystems drohe dem ÖPNV »Stillstand«, heißt es darin.

Mit der Studie solle nicht in Frage gestellt werden, dass insgesamt mehr Geld in die Hand genommen werden müsste, »doch mit einem besseren Finanzierungssystem wäre schon jetzt mehr Verkehr ohne zusätzliche Kosten möglich«, sagte Andreas Schackert, Bundesfachgruppenleiter Busse und Bahnen bei Verdi, im Gespräch mit junge Welt. Das Hauptproblem: Die Finanzierung des ÖPNV sei zu zersplittert. Für dessen Instandhaltung und Investitionen kommen derzeit Mittel aus Töpfen der EU, des Bundes, der Länder und der Kommunen – mit teils stark divergierenden politischen Zielsetzungen, so Schackert. Die Folge sei, dass Gelder verpuffen: »Allein, wenn der Schülerverkehr in den normalen ÖPNV integriert würde, ließen sich 125 Millionen Euro pro Jahr einsparen.«

Ein noch gravierenderes Resultat sei fehlende Planungssicherheit. Statt befristeter Förderungen brauche es verlässliche und langfristige Finanzierungswege. Dafür müsse »der Bund endlich anfangen, eine Rolle im ÖPNV zu spielen und die Mittel bündeln – mit einheitlichen Zielvorgaben«, sagte Jonas Becker, Referent Klimapolitik und Mobilität bei der Klima-Allianz Deutschland, gegenüber jW. Bisher hänge das Angebot im Nahverkehr zu stark von der Finanzsituation der jeweiligen Kommune ab. Das führe zu ungleichen Lebensverhältnissen und Einschränkungen, am öffentlichen Leben teilzunehmen.

Das Deutsche Institut für Urbanistik hatte bereits in einer Studie vom August 2023 einen Investitionsstau von 64 Milliarden Euro bis 2030 für den öffentlichen Nahverkehr berechnet. Angesichts der geplanten Umstellung auf Elektromobilität und angestrebten Angebotserhöhung dürfte die Zahl sogar noch größer ausfallen; im Koalitionsvertrag der Bundesregierung ist von einem »Modernisierungspakt« für den ÖPNV die Rede. Doch das Bundesverkehrsministerium müsse die Zügel nun tatsächlich in die Hand nehmen, so Becker. Das Erfolgsprojekt Deutschlandticket habe gezeigt, dass »eine Einigung zwischen den Ländern möglich ist, wenn der Bund in die Führung geht.«

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