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Aus: Ausgabe vom 05.09.2025, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Handelsabkommen

Fleisch für Autos

Handelsabkommen zwischen Mercosur-Staaten und Brüssel vor Ratifizierung. EU-Autoindustrie winken Gewinne
Von David Siegmund-Schultze
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Nach 26 Jahren Verhandlungen steht das Mercosur-Handelsabkommen vor der Ratifizierung (Brüssel, 3.9.2025)

Internationaler Handel dient immer den Kapitalfraktionen, die über seine Bedingungen bestimmen. Frei ist er eigentlich nie. Im 18. und 19. Jahrhundert zwang das britische Imperium weiten Teilen des Globus den »Freihandel« auf, um seine industrielle Dominanz auf den Märkten der Welt auszuspielen – im 20. Jahrhundert taten es ihm die USA gleich. Beim sogenannten Freihandelsabkommen zwischen den Staaten des Mercosur – Brasilien, Argentinien, Bolivien, Uruguay und Paraguay – und der EU, sind es auf südamerikanischer Seite vor allem die Agrarindustrie und in der EU die Autoindustrie, die sich Absatzgewinne versprechen. Kein Wunder also, dass die BRD mit ihrer abstürzenden Fahrzeugbranche seit langem auf eine Ratifizierung des Abkommens pocht. Am Mittwoch ist sie ihrem Ziel ein ganzes Stück näher gekommen: Die EU-Kommission hat die Billigung des Vertrags auf den Weg gebracht.

Dieser sieht vor, dass die Zölle auf EU-Produkte wie Autos, Kleidung und etwa Wein in den Mercosur-Staaten abgebaut werden – gleiches gilt für Agrarimporte aus den südamerikanischen Ländern in die EU. Die EU-Agrarindustrie geht dagegen seit Jahren auf die Barrikaden, weil etwa die günstigeren Fleischprodukte aus den Mercosur-Staaten eine existentielle Bedrohung für sie darstellen. Ende 2024 verhinderte sie, dass das Abkommen in der EU gebilligt wurde. Allen voran in Frankreich überzeugte sie die Regierung, dessen Ratifizierung aufzuschieben. Aus Paris hieß es damals jedoch, dass man für eine nachverhandelte Vereinbarung offen sei, die die Interessen der industriellen Landwirtschaft stärker berücksichtigt.

Genau das ist in der Zwischenzeit passiert: Die Kommission hat einen Entschädigungsfonds für geschädigte Agrarunternehmen versprochen. Außerdem will sie das Abkommen durch einen Rechtsakt ergänzen, der es ihr erlauben würde, »zu intervenieren«, wenn Importe etwa von Rindfleisch oder Geflügel EU-Erzeuger zu schädigen drohen. Die EU-Agrarindustrie, die im vergangenen Jahr mit rund 55 Milliarden Euro subventioniert wurde, spricht dennoch weiter von unfairem Wettbewerb, wenn das Mercosur-Abkommen umgesetzt würde. Denn die Farmen in Südamerika seien größer, die Lohnkosten niedriger und die Umwelt- und Tierschutzstandards schwächer. »Freihandel« soll eben nur gelten, wenn er einem nützt.

Doch: Für die Ratifizierung wird die Zustimmung potentieller Blockierer gar nicht mehr gebraucht. Denn die EU-Kommission hat das Abkommen in einen Handels- und einen politischen Teil gesplittet, und weil Handel unter EU-Rechtsprechung fällt, ist nur noch eine qualifizierte Mehrheit – also 15 Mitgliedstaaten, die mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung umfassen – statt der Billigung jedes nationalen Parlaments nötig. »Das ist demokratisch höchst fragwürdig«, kritisierte David Walch, Pressesprecher von ATTAC Österreich, im Gespräch mit junge Welt. Außerdem verweist Walch auf ein Gutachten des Völkerrechtlers Markus Krajewski, demzufolge der Verfahrenstrick rechtswidrig ist.

120.000 Arbeitsplätze seien durch das Abkommen bedroht, teilte das »Netzwerk für globale Gerechtigkeit« am Donnerstag mit und bezieht sich dabei auf eine aktuelle Studie der Österreichischen Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung. Und: In den südamerikanischen Vertragsstaaten drohe neben Deindustrialisierung die beschleunigte Abholzung des Regenwaldes – wegen des dortigen Anstiegs der Fleisch- und Futtermittelproduktion für den EU-Markt. »Es ist ein Abkommen, von dem auf beiden Seiten klimaschädliche Industrien profitieren«, so Walch.

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