Millionenstrafe für »Volkswagen do Brasil«
Von Volker Hermsdorf
Der VW-Konzern fühlt sich der Tradition verpflichtet. Unter den Nazis als »Kriegsmusterbetrieb« ausgezeichnet, beutete das von Adolf Hitler ins Leben gerufene Unternehmen bis 1945 Zigtausende Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge aus. Ende vergangener Woche hat nun ein brasilianisches Arbeitsgericht Volkswagen do Brasil wegen sklavereiähnlichen Arbeitsverhältnissen während der Militärdiktatur zu einer Rekordstrafe von 165 Millionen Real – umgerechnet rund 26 Millionen Euro – verurteilt. Zusätzlich muss der Konzern seine Verantwortung öffentlich anerkennen und sich bei den Opfern sowie der gesamten brasilianischen Gesellschaft entschuldigen. Doch VW schaltet bei der Wiedergutmachung für seine Diktaturverbrechen auf stur und kündigte Berufung an.
Volkswagen sei sich »seiner Vergangenheit bewusst« und trete für Respekt, Toleranz und Vielfalt ein, hatte das Unternehmen einst reumütig erklärt, als die Verantwortung für NS-Zwangsarbeiter nicht mehr zu leugnen war. Doch noch bis vor 40 Jahren ließ der Autobauer Arbeiter auf einer rund 140.000 Hektar großen Farm im Amazonasgebiet unter sklavereiähnlichen Bedingungen schuften. Zwischen 1974 und 1986 wurden auf der Fazenda Vale do Rio Cristalino im Bundesstaat Pará Hunderte unter erbärmlichen Bedingungen zur Arbeit gezwungen: ohne medizinische Versorgung, in notdürftigen Unterkünften, mit zuwenig Nahrung und ohne Zugang zu Trinkwasser. Bewaffnete Wächter hinderten sie daran, die Farm zu verlassen. Viele wurden in Schuldknechtschaft gehalten. »Wir mussten von frühmorgens bis spät in die Nacht schuften. Wer floh, riskierte erschossen zu werden«, erinnert einer der früheren Tagelöhner. Mehr als 40 Jahre mussten die brasilianischen Zwangsarbeiter auf das jetzt ergangene Urteil warten.
2019 leitete die Staatsanwaltschaft eine Untersuchung ein, befragte zahlreiche Zeugen und erhob 2024 Anklage. Die Richter folgten nun den Vorwürfen und bezeichneten die Zustände als »einen der größten Fälle moderner Sklavenarbeit in der Geschichte Brasiliens«. Das aktuelle Urteil gilt als das höchste, das dort je wegen moderner Sklaverei verhängt wurde. Für Staatsanwalt Rafael Garcia ein historisches Ereignis: »Nach Jahrzehnten muss eines der größten Unternehmen der Welt für gravierende Menschenrechtsverletzungen Verantwortung übernehmen.« Richter Otávio Bruno da Silva Ferreira bestätigte, dass VW nicht nur in die Farm investiert, sondern aktiv von der Ausbeutung profitiert habe. Sklaverei sei ein »gegenwärtiges Erbe«, das die Arbeitsverhältnisse im Land bis heute präge. Es ist nicht das erste Mal, dass Volkswagen sich wegen seiner Nähe zur Diktatur verantworten muss. Bereits 2020 zahlte der Konzern rund 5,5 Millionen Euro an Opfer, nachdem bekanntgeworden war, dass oppositionelle Arbeiter überwacht und den Militärbehörden gemeldet worden waren – darunter auch Gewerkschaftsführer Luiz Inácio Lula da Silva, der heutige Präsident Brasiliens.
Das aktuelle Urteil wirft auch ein Schlaglicht auf die Rolle internationaler Konzerne während der Militärdiktatur (1964–1985). Mit Steuervergünstigungen und staatlichen Fördermitteln sollte die Amazonasregion wirtschaftlich erschlossen werden. VW nutzte die Gelegenheit, um in die Rinderzucht einzusteigen – auf Kosten der Arbeiter und des Regenwaldes. Die Reaktion der Brasilien-Zentrale, die alle Anschuldigungen zurückwies und Berufung ankündigte, wirkt angesichts der Sklavenarbeitertradition des Konzerns zynisch. »Mit seiner 72jährigen Tradition bekennt sich das Unternehmen konsequent zu den Prinzipien der Menschenwürde und hält sich strikt an alle geltenden Arbeitsgesetze und -vorschriften«, so die offizielle Stellungnahme von VW.
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