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Aus: Ausgabe vom 03.09.2025, Seite 12 / Thema
Kunstgeschichte

Opfer der Herrenrasse

Vor 85 Jahren wurde die Dresdner Malerin Hildegard Seemann-Wechler in Pirna-Sonnenstein ermordet
Von Peter Michel
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Hildegard Seemann-Wechler, Selbstporträt, Öl auf Sperrholz, 36,3 × 32cm, um 1930

Meine Verordnungen werde ich treffen zu Nutz und Frommen der Kranken, nach bestem Vermögen und Urteil; ich werde sie bewahren vor Schaden und willkürlichem Unrecht.« (Aus dem Hippokratischen Eid)1

Zu meinen frühesten Kindheitserinnerungen gehört ein Arztbesuch in der Kinderklinik der Universität Jena. Damals – im Jahr 1943 – war ich fünf Jahre alt und durch lange Aufenthalte in einem modrigen Luftschutzkeller und Mangelernährung lungenkrank. Meine Mutter versprach sich von einer Behandlung durch den Kinderarzt Jussuf Ibrahim Besserung. Dieser Arzt genoss außerordentliches Ansehen und Vertrauen vor allem unter den Müttern – beinahe wie ein Wunderheiler. Er entstammte einer Kairoer Arztfamilie, leitete von 1917 bis zu seinem Tod 1953 diese Klinik und wurde auch in der DDR in hohem Maß geehrt. Nach dem Jahr 2000 wurde bekannt, dass er den Nazis nahegestanden und ihm anvertraute Kinder an die »Landesheilanstalten« Stadtroda ausgeliefert hatte, wo man sie umbrachte.

Euthanasie

Das Ganze lief unter dem Schlagwort »Euthanasie«. Im Griechischen wird damit ein guter oder schöner Tod bezeichnet. Unter den Nazis mutierte dieser Begriff zu einer Verschleierungs- und Legitimationsformel für ein in der Geschichte einmaliges staatlich durchorganisiertes Mordprogramm, das »Rassenhygiene« in medizinischen und psychiatrischen Einrichtungen in ganz Deutschland zur Pflicht machte. Tötungsanstalten befanden sich unter anderem in Grafeneck, Hadamar, Bernburg, Brandenburg an der Havel, Lüneburg, Andernach, auf dem Schloss Hartheim bei Linz in Österreich (damals »angeschlossen« als Teil des Deutschen Reiches), in Wehnen, Ursberg, Leipzig, Münnerstadt, Meseritz-Obrawalde (bis 1945 in der Provinz Posen; seitdem polnisch) und Pirna-Sonnenstein. An den meisten Orten wurden später Gedenkstätten eingerichtet. Die bisher ermittelten Opferzahlen schwanken zwischen 200.000 und 300.000, darunter etwa 5.000 Kinder und Jugendliche. Die Menschen erstickten in Gaskammern, wurden durch Überdosierung von Medikamenten, Nahrungsentzug, Lufteinspritzungen, Verweigerung ärztlicher Hilfe und andere Methoden umgebracht. Den Angehörigen übermittelte man frei erfundene Todesursachen. Die Forschung zu diesem verbrecherischen Teil deutscher Vergangenheit hat viele solcher Fakten erschlossen, ist aber bei weitem nicht vollständig.

Bereits am 14. Juli 1933 hatte die faschistische Regierung das »Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« verabschiedet, das massenweise Zwangssterilisationen vorschrieb. Ab 1934 entstand am Tollensesee bei Neubrandenburg ein Dorf mit dem Namen Alt Rehse als »Führerschule der deutschen Ärzteschaft«. Dort erhielten etwa 12.000 Ärzte, Schwestern und Pfleger, auch Hebammen und Apotheker, das ideologische Rüstzeug der »Rassenlehre« für die Praxis der »Euthanasie«. Ihr Umgang mit behinderten und psychisch kranken Menschen hatte mit ärztlichem Ethos, mit dem Hippokratischen Eid nichts zu tun. Sie übten keine humane Sterbehilfe, sondern geplanten Mord. Sie kannten keine Humanität am Krankenbett. Sie schützten das Leben der Kranken und Behinderten nicht und gliederten sie nicht wieder in die Gesellschaft ein. An die Stelle dieser traditionellen Pflichten trat der Fanatismus des Herrenmenschentums. In der »Aktion T4« liefen die Fäden für die systematische und kaltblütige Tötung »lebensunwerten Lebens« zusammen, benannt nach einer Villa in der Berliner Tiergartenstraße 4, wo sich die Tötungszentrale befand. Dort wurde 2014 ein zentraler Gedenk- und Informationsort eingerichtet. Der Deutsche Bundestag stimmte am 30. Januar 2025 – also erst 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges – einem fraktionsübergreifenden Antrag zu, in dem auch diese Opfer als Verfolgte des Naziregimes anerkannt wurden.²

Oberhalb des Stadtzentrums von Pirna entstand ab 1811 auf dem Sonnenstein in einer früheren Burg- und Festungsanlage eine Heilanstalt für psychisch Kranke. Sie genoss einen guten Ruf und wurde im Lauf der Jahrzehnte ständig erweitert. Auch dort zog 1933 faschistisches Denken ein, das auf »Rassenhygiene«, also auf die Vernichtung psychisch kranker und geistig behinderter Patienten, ausgerichtet war. Im Frühjahr 1940 wurde in einem abgeschirmten Teil des Geländes eine Tötungsanstalt eingerichtet. In einem Keller entstanden eine Gaskammer und ein Krematorium. Am 28. Juni 1940 wurden die ersten zehn Patienten vergast und verbrannt. Mehr als hundert Ärzte, Pfleger, Fahrer, Schwestern, Bürokräfte und Polizisten arbeiteten in den Jahren 1940/41 in dieser Einrichtung. Die Kranken und Behinderten holte man mit den berüchtigten graugrünen Bussen aus anderen Anstalten, um sie als »Ballastexistenzen« umzubringen. Bis zum 24. August 1941 starben dort 13.720 Menschen. Hinzu kamen im Sommer 1941 mehr als tausend Häftlinge aus Sachsenhausen, Buchenwald und Auschwitz. Danach löste man diese »Euthanasie«-Anstalt auf, verwischte die Spuren und richtete ein Wehrmachtslazarett, die »Adolf-Hitler-Schule Gau Sachsen« und eine Reichsverwaltungsschule ein. Ein Teil der an den Morden Beteiligten nahm anschließend an den Massenvernichtungen in den Konzentrationslagern Belzec, Sobibor und Treblinka teil.

Künstlerin mit Haltung

Unter den Opfern befanden sich drei Dresdener Künstlerinnen: Gertrud Fleck (geb. 1870), Elfriede Lohse-Wächtler (geb. 1899) und Hildegard Seemann-Wechler (geb. 1903). Sie alle starben 1940. Der bekannte Dresdener Fotograf Hugo Erfurth hatte Hildegard Seemann-Wechler 1929 porträtiert und sie damit in die Reihe seiner historisch bedeutsamen Künstlerporträts gestellt. Bis in die Gegenwart sind seine Bildnisse aus den 1920er Jahren vorbildlich für eine ganz persönliche, psychologisierende, den Charakter einfühlsam erfassende fotografische Arbeitsweise. Die Porträtfotografien von Otto Dix, Käthe Kollwitz, Max Beckmann, Lovis Corinth, Oskar Kokoschka, Heinrich Zille, Max Slevogt, Wassili Kandinsky, Ernst Barlach und vielen anderen sind aus der deutschen Kunstgeschichte nicht wegzudenken.

Offensichtlich hat ihn die damals 26jährige Hildegard Seemann-Wechler mit ihrer Bubikopffrisur stark beeindruckt. Als er sie fotografierte, setzte er sie aufrecht, beinahe denkmalhaft ins Bild und vermied jede körperliche und mimische Bewegung. Die Hände liegen im Schoß locker übereinander. Die Gesichtszüge sind ebenmäßig; die Augen blicken selbstbewusst und neugierig auf die Kamera. Ein kaum merkliches Lächeln zeugt von innerer Ruhe. Die Umrisse der Frisur und des Kragens bilden gemeinsam einen ovalen Rahmen für das Gesicht. Der keilförmige Ausschnitt der Jacke zieht die Aufmerksamkeit des Betrachters nach oben. Eine solche bildnerische Inszenierung zeugt von großer Achtung. Erfurth kannte ihre künstlerischen Leistungen.

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Beinahe denkmalhaft in Szene gesetzt: Porträtfoto der Malerin von dem Dresdener Fotografen Hugo Erfurth aus dem Jahr 1929

Seemann-Wechler kam aus einem bürgerlichen Elternhaus. Künstlerin zu werden war der große Traum ihres Lebens. Zunächst begann sie ein Studium an der Kunstgewerbeakademie in der Dresdener Güntzstraße und wechselte 1921 an die Dresdener Kunstakademie, an der ab 1919 auch Frauen studieren durften. Zu ihren Lehrern und Förderern gehörten Robert Sterl und Otto Dix. Bei Dix genoss sie das Privileg, drei Semester lang als Einzelschülerin zu studieren. Sie folgte ihm jedoch kaum in seinem schonungslos entlarvenden Verismus; sie verzerrte oder karikierte nichts, sondern stand stilistisch den Vertretern neusachlicher Malerei näher. Während ihres Studiums war sie mit Eva Schulze-Knabe und Fritz Schulze befreundet, die beide später im antifaschistischen Widerstand ihr Leben aufs Spiel setzten. Sie wurden von der Gestapo verfolgt, verhaftet und in einem Hochverratsprozess verurteilt; Fritz Schulze wurde 1942 in Plötzensee hingerichtet; Eva Schulze-Knabe überlebte im Zuchthaus Waldheim. Schulze-Knabe erinnerte sich später an einen in der Akademie ausgestellten Selbstakt von Seemann-Wechler. Da auch Hans und Lea Grundig in dieser Zeit an der Kunstakademie studierten, ist zu vermuten, dass beide ebenfalls zu diesem Freundeskreis gehörten. All das kennzeichnet die politische Haltung Hildegard Seemann-Wechlers.

Im April 1929 beendete sie ihr Studium und heiratete ihren Mitstudenten Herbert Seemann. In dieser Zeit entstand das Blatt »Sitzender Knabe als Akt«, gestaltet mit Farbstift, Aquarell- und Deckfarben über einer Bleistiftzeichnung auf gelblichem, strukturiertem Papier. Es zeigt ein schwaches, kränkliches Kind mit apathischem Gesichtsausdruck, übergroßen verschatteten Augen und kurzgeschorenem Haar, das auf einem flachen Tisch vor einem Ofen sitzt. Etwa ein Jahr später malte sie ein Knabenbildnis mit einem ähnlichen Bildaufbau und kräftigeren Farben. Proletarierkinder wurden damals in Dresden zu einem wichtigen Bildmotiv. Wilhelm Lachnit schuf 1924/25 einen »Mädchenakt auf rotem Stuhl«; Rudolf Bergander malte 1931 ein schwindsüchtiges »Mädchen im blauen Kleid«; im selben Jahr entstand Eva Schulze-Knabes »Junge im gelben Pullover«. Hans Grundig hatte 1926 einen »Jungen mit Katze« gemalt und 1930 Linol- und Holzschnitte mit Titeln wie »Lernender Arbeiterjunge« oder »Kinder der Großstadt – Kind mit Puppe auf der Straße« geschaffen. Hildegard Seemann-Wechler reihte sich ein. Auch ihre Abbilder wurden zu Sinnbildern des Elends.

Selbstporträts

Um 1930 entstanden zwei ihrer Selbstporträts. Eines fesselt den Betrachter durch die Spannung zwischen zeichnerischem Realismus und freiem Umgang mit eigenwilligen Farben. Es zeigt ihr Gesicht en face wie in Hugo Erfurths Fotografie. Doch von Selbstbewusstsein und innerer Ruhe ist nur noch wenig zu spüren. Die Weichheit der Umrisse ist härteren Konturen gewichen. Die Pinselführung ist heftig und dennoch kontrolliert. Die Schädelform mit breiten Wangenknochen tritt deutlich hervor. Der Blick geht in eine unbestimmte Ferne; der Glanz der Augen ist verschwunden, man kann sie in ihrer Dunkelheit nur erahnen. Die Farben orientieren sich kaum noch an der äußeren Erscheinung, sondern werden zum Ausdruck der eigenen Gefühlswelt. So näherte sich Seemann-Wechler einem expressiven Realismus, der ihrer antibürgerlichen Grundhaltung entsprach.

Ein anderes, ebenfalls 1930 gemaltes Selbstbildnis zeigt einen ähnlich freien Umgang mit Farben und Formen, ist jedoch in seiner Expressivität zurückhaltender. Der Kopf mit direktem Blick auf den Betrachter folgt einem kaum spürbaren Halbprofil; die Augen sind detailliert dargestellt. Sie verraten bei aller Selbstachtung dennoch Verletzlichkeit und Skepsis dem Betrachter gegenüber; Trotz, Angst und Ratlosigkeit scheinen sich zu vereinen. Der dunkle Hintergrund lässt das Gesicht hell hervortreten. Beide Selbstbildnisse vermeiden konsequent eine Idealisierung, wie sie der Fotograf ein Jahr zuvor angestrebt hatte. Die Künstlerin war ehrlich zu sich selbst.

Die erste Schaffenszeit Hildegard Seemann-Wechlers konnte nur kurz und intensiv sein. Boris Böhm, der seit 1999 die Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein leitet, erforschte auf verdienstvolle Weise Leben und Sterben einer ganzen Reihe Ermordeter. Er gab eine Schriftenreihe unter dem Titel »Den Opfern einen Namen geben« heraus und ehrte im Heft 26/2018 auch diese Künstlerin detailreich und ausführlich.³ So sind zahlreiche Fakten bekanntgeworden, die sonst unbeachtet geblieben wären. Bei Böhm ist zu lesen, dass sich im Sommer 1931 bei Seemann-Wechler Symptome einer schweren psychischen Erkrankung zeigten und sie am 13. August 1931 ins Dresdener Stadtkrankenhaus Löbtauer Straße eingeliefert wurde, wo man unheilbare Schizophrenie diagnostizierte. Von dort kam sie in die Landesanstalt Arnsdorf und verbrachte dort achteinhalb Jahre.

Vergast und verbrannt

Nachdem das faschistische »Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« 1933 erlassen worden war, wurde sie am 12. September 1935 in der Staatlichen Frauenklinik Dresden gegen ihren Willen zwangssterilisiert und nach diesem entwürdigenden Eingriff nach Arnsdorf zurückgebracht. Böhm berichtet weiter über die rasante Verschlechterung der Existenzbedingungen für die Arnsdorfer Patienten nach dem Beginn des Zweiten Weltkrieges. In Arnsdorf wurde ein Wehrmachtslazarett eingerichtet. Hildegard Seemann-Wechler kam deshalb am 23. April 1940 in die Landesanstalt Leipzig-Dösen, blieb dort aber nur ein Vierteljahr; dann wurde sie in die Landesanstalt Großschweidnitz bei Löbau verlegt. Hier fuhren am frühen Morgen des 3. September 1940 die Transportbusse vor und brachten 104 Frauen nach Pirna-Sonnenstein: »In einer der wahrscheinlich vier Gruppen wurde auch Hildegard Seemann-Wechler noch am gleichen Tag der Ärztekommission vorgeführt und anschließend von Krankenschwestern mit etwa 25 Mitpatientinnen in die als Baderaum getarnte Gaskammer im Keller von Haus C geführt. Hildegard Seemann-Wechler starb inmitten von angstvoll schreienden und verzweifelt an Türen und Fenstergittern rüttelnden Leidensgefährtinnen einen gewaltsamen Tod.«⁴ Dieser Tod wurde mit Kohlenmonoxid herbeigeführt. Ein Arzt beobachtete den Tötungsvorgang, der etwa 20 bis 30 qualvolle Minuten dauerte. Die Leichen wurden in zwei Koksöfen verbrannt. Die Asche lagerte man auf einer Anstaltsdeponie oder man schüttete sie nachts hinter dem Haus den Elbhang hinunter.

1946 gab es auf der Dresdener Brühlschen Terrasse als Teil einer Ausstellung sächsischer Künstler eine Sonderschau »Opfer des Faschismus«, in der man Hildegard Seemann-Wechler postum ehrte. Es wurden sieben ihrer Werke gezeigt, darunter eine Zeichnung »Frauenkopf« und ein »Jungenbildnis«. Vermutlich hatte Eva Schulze-Knabe dafür gesorgt. Das Blatt »Sitzender Knabe« tauchte später in einer Auktion auf. Und in einer Ausstellung im Schloss Hubertusburg war 2023 auch Seemann-Wechler vertreten.

Im Sommer 1947 wurden einige der an den Morden Beteiligten zur Verantwortung gezogen. Das Dresdener Schwurgericht verurteilte einen der medizinischen Leiter der Krankenmordaktion und zwei »Pfleger« zum Tode. Andere konnten sich ihrer Verantwortung entziehen.

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Hildegard Seemann-Wechler, Selbstporträt, Öl auf Sperrholz, 36,3 × 32cm, um 1930

Bis 1949 waren auf dem Sonnenstein ein Flüchtlingslager, ein Quarantänelager für entlassene Wehrmachtsangehörige, Teile des Landratsamtes und eine Polizeischule untergebracht. Ein großer Teil des Geländes wurde von 1954 bis 1991 überwiegend vom Strömungsmaschinenwerk zum Bau von Flugzeugturbinen genutzt. 1977 entstand im Schlossbereich das »Kreisrehabilitationszentrum Pirna«, aus dem 1991 eine »Werkstatt für behinderte Menschen« der Arbeiterwohlfahrt hervorging.

Heute befindet sich im ehemaligen »Euthanasie«-Gebäude und in seiner unmittelbaren Nähe eine würdige Gedenkstätte mit einer ständigen dokumentarischen Ausstellung im Dachgeschoss, Stelen mit Kurzbiographien im Mordkeller, einem Gedenkkreuz und einem als Sammelgrabfläche gekennzeichneten Waldareal am Elbhang. Bei archäologischen Grabungen im Jahr 2002 fand man dort menschliche Knochen und Asche aus den Verbrennungsöfen.

Vielleicht liegen dort auch nicht mehr identifizierbare Überreste dieser Künstlerin, die ihr Schaffen so eindrucksvoll begann und sich nicht vollenden konnte. Ihr blieb ein eigenes Grab verwehrt. Die überlebenden Familienmitglieder, die 1945 aus dem zerstörten Dresden nach Westdeutschland übersiedelten, ließen Hildegard Seemann-Wechlers Namen in einen Familiengrabstein auf dem Hauptfriedhof Karlsruhe meißeln. So bleibt ein Platz zum Trauern.

Anmerkungen:

1 1948 beschloss der Weltärztebund nach den Greueln des Zweiten Weltkrieges eine Neufassung der ärztlichen Berufspflichten, das Genfer Gelöbnis, in dem es unter anderem heißt: »Ich werde nicht zulassen, dass Erwägungen von Alter, Krankheit oder Behinderung, Glaube, ethnischer Herkunft, Geschlecht, Staatsangehörigkeit, politischer Zugehörigkeit, Rasse, sexueller Orientierung, sozialer Stellung oder jeglicher anderer Faktoren zwischen meine Pflichten und Patientin oder meinen Patienten treten.«

2 Vgl. auch: »Erinnerungspolitisch gibt es noch viel zu tun. Eine längst überfällige Ausstellung in Berlin widmet sich verleugneten Opfern der Nazidiktatur. Ein Gespräch mit Barbara Stellbrink-Kesy«, junge Welt, 3.1.2025, und »Herrscher über Leben und Tod. Systemerkrankung: Eine Wanderausstellung über das Verhältnis von Arzt und Patient in Nazideutschland« von Sabine Lueken, junge Welt, 17.1.2025

3 Boris Böhm: »Hildegard Seemann-Wechler (1903–1940). Biografisches Porträt eines sächsischen Opfers der NS-Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein«. Heftreihe »Den Opfern ihren Namen geben«, Heft 26/2018

4 Ebd., S. 12

Peter Michel ist Kunstwissenschaftler und Publizist. Er schrieb zuletzt auf diesen Seiten am 7. Juni 2025 über den Bildhauer Clemens M. Strugalla und seine Arbeiten zum Großen Deutschen Bauernkrieg: »So darf man mit Menschen nicht umgehen«

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