Gegründet 1947 Dienstag, 2. September 2025, Nr. 203
Die junge Welt wird von 3036 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 01.09.2025, Seite 5 / Inland
Gesellschaftliche Krisensymptome

Notgroschen statt Konsum

Schlechte Zeichen trotz Lohnzuwachs: Inflation und Sparzwang vertiefen deutsche Konjunkturschwäche
Von Klaus Fischer
5.jpg
Zuwenig Umsatz führt irgendwann zu Geschäftsschließungen und Jobverlusten

Fangen wir mit der guten Nachricht an: Die Reallöhne in Deutschland sind nach offiziellen Angaben auch im zweiten Quartal des Jahres gestiegen. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) am Freitag mitteilte, legten die Nominallöhne im Jahresvergleich um 4,1 Prozent zu. Die gemessenen Verbraucherpreise stiegen im selben Zeitraum um 2,1 Prozent. Demnach betrug der Reallohnzuwachs laut Destatis 1,9 Prozent. Wie schon im Vorquartal erhöhten sich die Nominallöhne von Geringverdienern überdurchschnittlich.

Normalerweise bedeuten steigende Einkünfte gerade bei unteren Einkommensgruppen einen höheren Konsum. Die Menschen kaufen Waren und Dienstleistungen, die sie sich vorher nicht oder selten leisten konnten. Doch nahezu parallel zu den vermeldeten Kaufkraftsteigerungen verschlechtert sich die Stimmung beim Einzelhandel. Im August trübte sich den dritten Monat infolge das Geschäftsklima in der Branche, wie das Münchner Institut für Wirtschaftsforschung (Ifo) nach Befragung von Unternehmen am Freitag mitteilte. Das Fazit der Ifo-Forscher: »Die konjunkturelle Erholung kommt noch nicht in Fahrt.«

Schlechte Stimmung entsteht nicht von ungefähr. Sie speist sich aus Fakten, Erfahrungen und Erwartungen. Zwar habe sich laut Ifo-Institut die Stimmung im Lebensmitteleinzelhandel etwas verbessert – das ist Tageskonsum, obwohl gerade hier die Teuerung über der offiziell »erwünschten« (EZB) Inflationsrate von etwa 2,0 Prozent lag. Anders als etwa bei Möbelhäusern oder im Textilbereich – da trüben sich sowohl Stimmung als auch Umsatz ein.

Das belegen auch die Julizahlen von Destatis. Demnach ging der Einzelhandelsumsatz im zweiten Sommermonat um ein Prozent im Vergleich zum Vormonat zurück. Inflationsbereinigt sei der Rückgang mit real 1,5 Prozent noch größer gewesen, so das Amt. Von Reuters befragte Ökonomen hatten mit einem deutlich geringerem Minus gerechnet, hieß es bei der Nachrichtenagentur am Freitag. Während die Reallohnsteigerung also scheinbar verpufft, braut sich statt dessen ein unangenehmer Mix aus Krisensymptomen zusammen.

Der schwache Einzelhandel ist nur ein Teil davon. Ebenfalls am Freitag wurde bekannt, dass die Zahl der offiziell als arbeitslos geltenden Mensch die Drei-Millionen-Marke überschritten hat (siehe jW vom Sonnabend). Die staatliche Agentur für Arbeit bezeichnete das als den höchsten Stand seit 2015. Da die Zahl der verdeckt erwerbslosen Menschen seit Jahrzehnten deutlich höher liegt, ist dies ein weiteres Anzeichen für die aktuelle Krise.

Jobabbau in diversen Branchen – besonders der Industrie, die unter den hohen Energiepreisen leidet – wirkt sich statistisch aus. Hinzu kommen die anhaltend hohe Zahl an Insolvenzen, die Folgen des von den USA angezettelten Zollkrieges, der vor allem die Exportwirtschaft hart getroffen hat, die zunehmend hoffnungslose Suche von vielen – vor allem jungen – Menschen nach bezahlbaren Wohnungen und nicht zuletzt die schleichende Erhöhung bei den Gesundheitskosten und angekündigte Steuererhöhungen – über letztere redet Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) zunehmend mit drohenden Worten.

Was aber nützen höhere Reallöhne, wenn die Anzahl Menschen, die davon »profitieren« immer geringer wird? Eine deutlich höhere Zahl von Erwerbslosen – offiziell und verdeckt – bringt die sozialen Sicherungssysteme dem möglichen Kollaps näher – und wirkt sich negativ auf die Wirtschaftsleistung des Landes aus. Das zwingt die Menschen, Rücklagen zu bilden. Und da ist ja auch noch die stetige Teuerung.

Die Verbraucherpreise lagen um 2,2 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats, wie das Statistische Bundesamt auf Basis vorläufiger Zahlen mitteilt. Für Juni und Juli hatten die Wiesbadener Statistiker noch jeweils eine Inflationsrate von 2,0 Prozent errechnet. Von Juli zum August des laufenden Jahres stiegen die Preise um 0,1 Prozent. Nach Einschätzung von Volkswirten wird auch in den kommenden Monaten die Teuerungsraten über der Zwei-Prozent-Marke liegen.

»Die Inflation ist hartnäckiger als gedacht«, kommentiert Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer laut Reuters. Die Kerninflation – also die Rate ohne die schwankungsanfälligen Preise für Nahrungsmittel und Energie – liegt seit inzwischen drei Monaten bei 2,7 Prozent. Je höher die Inflationsrate, desto geringer die Kaufkraft der Konsumenten. Für einen Euro gibt’s dann halt weniger – was viele Menschen in den zurückliegenden Jahren seit 2022 schmerzhaft zu spüren bekamen – trotz Reallohnsteigerung.

Ifo-Präsident Clemens Fuest warnt wegen der (offiziell) drei Millionen Arbeitslosen vor negativen Folgen für die Konjunktur insgesamt. »Der private Konsum ist derzeit schon verhalten, obwohl die verfügbaren Einkommen schneller wachsen als die Konsumentenpreise«, zitierte Reuters am Freitag den Wirtschaftsforscher. Viele Haushalte sparten mehr, weil sie sich Sorgen um die Zukunft machten. »Das wird bei schlechten Nachrichten vom Arbeitsmarkt wie der Überschreitung der Schwelle von drei Millionen Arbeitslosen zunehmen.«

75 für 75

Mit der Tageszeitung junge Welt täglich bestens mit marxistisch orientierter Lektüre ausgerüstet – für die Liegewiese im Stadtbad oder den Besuch im Eiscafé um die Ecke. Unser sommerliches Angebot für Sie: 75 Ausgaben der Tageszeitung junge Welt für 75 Euro.

 

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

Ähnliche:

  • 08.05.2025

    Deflationsgefahr in der Schweiz

    »Sicherer Hafen« für Kapital bleibt. Negativzinsen befördern Umverteilung von unten nach oben
  • Deutsche Autobauer zieht es in den Osten: BMW-Autohaus in Wrocła...
    05.07.2023

    Zinspolitik in der Sackgasse

    Bundesbank fordert weitere Zinserhöhungen in der Euro-Zone. Zur Inflationsbekämpfung trägt das jedoch kaum bei

Mehr aus: Inland

                                                                 Aktionsabo: 75 Ausgaben für 75 Euro