»Ringsum Fliegerhorste und Kasernen«
Interview: Kristian Stemmler
Anfang August haben sich im niedersächsischen Soltau diverse Gruppen und Organisationen zum »Friedensratschlag Lüneburger Heide« zusammengetan. Der Ort der Gründung ist kein Zufall. Wieso haben Sie ihn gewählt?
Das Zentrum der Lüneburger Heide ist ein militärischer Hotspot in der BRD und Mitteleuropa. Bei Rheinmetall in Unterlüß werden die Mordfahrzeuge gebaut, die Panzertruppenschule im größten Bundeswehr-Heeresstandort Munster ist die Fahrschule, Europas größter Truppenübungsplatz zwischen Bergen und Bad Fallingbostel ist der Trainingsplatz und nach dem blutigen Gebrauch sind Kriegsgeräte im Panzermuseum Munster zu bewundern. Ringsum Fliegerhorste, Kasernen, Munitionsdepots, Wehrwissenschaftliches Institut für ABC-Schutz.
Was geschieht im Rahmen der derzeitigen Aufrüstungskampagne in der Region?
Bei Bad Fallingbostel wird die Stationierung von zwei neuen Panzerbataillonen vorbereitet, in Walsrode baut die Staatsfirma BW-Bekleidungsmanagement GmbH. Wie bis 1945 wird demnächst am Chemiestandort Walsrode-Bomlitz wieder NC-Pulver – ein Vorprodukt für Munition – hergestellt. Rheinmetall Unterlüß feierte am 27. August die Einweihung von Europas größter Munitionsfabrik. Militarismus prägt den Alltag.
Kein Zufall ist wohl, dass Vizekanzler Lars Klingbeil und der Wehrbeauftragte Henning Otte in der Region ihre Bundestagswahlkreise haben.
Lars Klingbeil, Soldatensohn aus der Militärstadt Munster, war Kriegsdienstverweigerer. Seine kritische Haltung zur Bundeswehr änderte er schon mit 23 Jahren. Da war er bereits politisch und beruflich in der SPD angekommen. Er zog jung in den Bundestag ein, war lange im Verteidigungsausschuss. Bis 2017 saß er in den Präsidien der Lobbyvereine Deutsche Gesellschaft für Wehrtechnik und Förderkreis Deutsches Heer. Er war immer für Anhebung der Wehretats, für bewaffnete Drohnen. Er war und ist ständig in den vielen großen militärischen Einrichtungen seines Wahlkreises Rotenburg I – Heidekreis unterwegs.
Und was ist mit CDU-Mann Otte?
Der Panzeroffizier Henning Otte saß von 2005 bis 2025 für den Wahlkreis Celle-Uelzen im Bundestag, nun ist er Wehrbeauftragter. Er war ordentliches Mitglied der Parlamentarischen Versammlung der NATO. Bis 2017 war er Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik und Präsidiumsmitglied sowie seit 2020 Vizepräsident des Förderkreis Deutsches Heer. Als um 1991 auch vor Ort von Militärabbau die Rede war, mobilisierte er dagegen für mehr Bundeswehr. Otte ist Erfinder des »Celler Trialogs«, das sind gemeinsame Konferenzen von Militär, Wirtschaft und Politik.
Sie befassen sich schon lange mit der Geschichte von Europas größtem Truppenübungsplatz zwischen Bergen und Bad Fallingbostel. Was können Sie darüber berichten?
Von den Nazis – gegen Proteste der Bewohner, vieler Dörfer – eingerichtet, wurde hier der Überfall auf die Sowjetunion trainiert. In drei Lagern krepierten hier elendig 50.000 Rotarmisten. Und im KZ Bergen-Belsen weitere 50.000 Menschen. Nach 1945 wurde der Kriegsübungsplatz vergrößert. Die britische Armee zog von hier in Kriege ums Öl. Hier trainieren mehrere Staaten – sogar Singapur – ihre Panzer und Drohnen. Auch Neonaziwehrsportgruppen nutzten Geländeteile.
Es gibt auf dem Übungsplatz sogar noch bewohnte Dörfer, für die ein besonderes Rechtskonstrukt gilt. Wie sieht das aus?
Als die Nazis den Truppenübungsplatz einrichteten, wurden die Bewohner der meisten Dörfer – gegen deren Widerstand – ausgesiedelt. Die verbliebenen verloren ihre kommunalen Rechte an die zentrale Staatsgewalt. Noch heute ist der Übungsplatz aufgeteilt in die »Gemeindefreien Bezirke« Osterheide im Heidekreis und Lohheide – gehört mit Bergen-Belsen zum Kreis Celle. Die Dörfler haben statt Bürgermeister und Gemeinderat lediglich ihre rechtlose »Einwohnervertretung«. Der steht jeweils ein vom Bundesfinanzministerium eingesetzter Bezirksvorsteher vor. Das tatsächliche Sagen hat die BIMA, Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, der fast jeder Krümel Erde und jeder Stein gehört. Die BIMA vergisst gern, vermietete Häuser zu sanieren, ist aber Spitze beim Verkommenlassen und Abreißen.
Hans-Dieter »Charly« Braun ist DGB-Kreisvorsitzender im Kreisverband Heidekreis und Friedensaktivist
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