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Aus: Ausgabe vom 29.08.2025, Seite 15 / Feminismus
Sorgearbeit versus Lohnarbeit

Sorgen lohnt nicht

Familienfreundlichkeit bleibt in Stellenausschreibungen weiterhin Fehlanzeige
Von Claudia Wrobel
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Die verbreitete Rede von der Work-Live-Balance ist für die meisten lohnabhängigen Frauen eine leere Versprechung …

Der beschworene Fachkräftemangel muss herhalten, wenn es um die Ausweitung der Regelarbeitszeit und um andere Angriffe auf das Arbeitsrecht geht. Er führt allerdings nicht dazu, dass Konzerne die eigene Struktur familienfreundlicher gestalten und sicherstellen, dass Personen nebst Sorgearbeit einer Erwerbstätigkeit nachgehen können. Zumindest sucht man solche Modelle in Stellenanzeigen vergeblich. Gewonnen werden potentielle Arbeitskräfte damit also nicht. Zu diesem Ergebnis kam vergangene Woche eine Studie der Bertelsmann-Stiftung. In rund einem Drittel der ausgewerteten Annoncen heißt es zwar, dass der Umfang oder die Einteilung der Arbeitszeit selbst bestimmt werden könne. Familienfreundliche Angebote aber tauchten nur in etwa jeder sechsten Stellenanzeige auf. In nicht mal drei Prozent werde Unterstützung bei der Kinderbetreuung versprochen. Auffällig ist hier besonders die Geschlechterungleichheit: Wenn überhaupt, finden sich solche Angebote in Branchen mit hohem Frauenanteil.

»Dass Arbeitgeber:innen überhaupt mit familienfreundlichen Angeboten werben, ist eine gute Nachricht«, konstatierte Michaela Hermann, Arbeitsmarktexpertin der Bertelsmann-Stiftung, bei der Vorstellung der Studie, die auf den Daten des Jobmonitors der Stiftung basiert. »Aber: Mit der ungleichen Verteilung der Angebote und Erwartungen an Frauen und Männer verfestigt sich auch die Aufteilung in Frauen- und Männerberufe am deutschen Arbeitsmarkt.« Für das Jahr 2024 wurden etwa acht Millionen Annoncen verglichen. Um einen Trend feststellen zu können, wurden außerdem zehn Millionen Stellenanzeigen aus dem Zeitraum von 2018 bis 2024 ausgewertet.

Die Ergebnisse lassen den Schluss zu, heißt es in der Studie, dass die fehlende Familienfreundlichkeit eine traditionelle Rollenaufteilung von zwei Seiten befeuert: Zum einen liegt ein Großteil der Sorgearbeit weiterhin bei Frauen, da sie in Berufen arbeiten, die eben diese Sorgearbeit – scheinbar nebenbei – überhaupt zulassen; zum anderen haben Männer weniger Möglichkeiten, selbstverständlich einen relevanten Teil der Sorgearbeit zu leisten, weil ihnen diese Vereinbarkeit nicht von alleine zugestanden wird. Da sich weder Kinder noch pflegebedürftige Angehörige allerdings einfach zum Wohle der Firmenchefs wegorganisieren lassen, muss Sorgearbeit in den Familien geleistet werden. »Damit haben Frauen weniger Möglichkeiten, sich auf männerdominierte Berufe zu bewerben«, urteilte auch Hermann.

Zudem macht die formale Qualifikation einen großen Unterschied: So müssen Menschen auf Jobsuche für Stellen mit einem Masterabschluss zwar einerseits flexibler sein, da von ihnen zum Beispiel öfter eine höhere Mobilität gefordert wird, allerdings werden bei ihnen auch die Arbeitszeiten deutlich häufiger flexibel gehandhabt, als es bei Ausschreibungen für Assistenzkräfte ohne Ausbildung oder Fachkräfte mit Ausbildung zu finden ist. Dafür lässt sich für höher qualifizierte Stellen selten der Umfang der Arbeitszeit wählen, also ob Teilzeit möglich ist. Insbesondere in letzterem erkennt Bertelsmann einen entscheidenden Faktor für die Geschlechtertrennung, da dies Frauen den Zugang zu Tätigkeiten mit höheren Qualifikationsanforderungen erschwere.

Als Handlungsempfehlung betont die Stiftung, die dem unternehmensfreundlichen Spektrum zugeordnet werden kann, es komme besonders darauf an, dass »die versprochene Zeitsouveränität und Familienfreundlichkeit im Arbeitsalltag tatsächlich umgesetzt« werden. In wie vielen Stellenanzeigen nämlich nur Lippenbekenntnisse zu finden sind, kann mit dieser Studie nicht verifiziert werden.

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