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Aus: Ausgabe vom 28.08.2025, Seite 10 / Feuilleton
Landlust

Käfer

Aus der Provinz
Von Jürgen Roth
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Es war einmal: Der Käfer

Es war ein über viele Jahre gepflegtes Ritual. Jeden Freitag kamen Renate, eine Schwimmkameradin meiner Mutter, und Karlheinz gegen 9 Uhr vorbei, und man ratschte eine Stunde über Vorkommnisse im Dorf und in der Welt.

Karlheinz trank einen Schopfer frischgebrühten Kaffees, und bevor die beiden wieder aufbrachen, mussten er und ich im Hof zusammen eine rauchen. Mein Vater bat meist um meine oder die Kippe vom Karlheinz und schnüffelte ein bisschen an ihr.

Einmal latschte ich runter ins Parterre, begrüßte Renate und Karlheinz und sagte, weil ich vom Vorabend, na ja, einigermaßen demoliert war: »Ich muss noch mal hoch und erst mal zu mir kommen. Wir sehen uns dann im Hof.« Karlheinz, ein Magister des Stegreif-Aperçus, sagte: »Wennst dich triffst, soch aan scheena Gruß!«

Karlheinz, die treue Seele, fuhr mit meinem Vater ab und an über Land – in einem seiner Oldtimer. Er ist ein begnadeter Bastler, einer dieser leidenschaftlich genau arbeitenden Handwerker, die dieses Land einst wirtschaftlich groß gemacht haben.

Mein Vater liebte die gelegentlichen Exkursionen – er sah etwas außerhalb des beschränkten Gesichtskreises, an den einen das hohe Alter heftet –, und im jeweiligen Ausflugslokal, in dem Vadder und Karlheinz einkehrten, kaufte er sich ein möglichst voluminöses Stück Kuchen, obwohl er Süßes nicht mehr essen durfte (die Rothschen sind Sturschädel, kannste nix gegen unternehmen). Muddar hat das nie erfahren. Omertà.

Am Dienstag ließen wir den Brauch wiederaufleben. Karlheinz hatte den Käfer Baujahr ’77 erkiest, Modell 1303, glanzvoll in Porsche-Braun lackiert, das Cabriodach aus edlem beigefarbenen, fein strukturiertem Stoff, das Gefährt eine einzige Feier robuster und eleganter Mechanik.

Ich öffnete das Winkelfenster, und wir krachten los. Die 50 PS erzeugten einen himmlisch satten Sound – so klangen früher Autos, heute säuseln potthässliche, verwanzte Infantilkisten durch die Gegend, am schlimmsten sind die E-Mobile, die Karlheinz verachtet.

Sportlich bewältigte Karlheinz die Kurven in Richtung Wolframs-Eschenbach, einer kleinen Stadt, die für jeden Germanisten ein intellektuelles Weltreich ist. Das interessierte den Karlheinz weniger, wir mussten zu einem Spengler, denn seit Monaten schraubte er an seinem Iltis herum, für den er nun ein nach einer Zeichnung von ihm zu fertigendes Blech brauchte, um irgendeine Düse abdecken zu können.

Werkstätten sind die letzten Orte, an denen das öffentlich-rechtliche Bedudelradio läuft. Der Spengler mit Pferdeschwanz fräste und dengelte das Stück rasch zurecht, danach dröhnten wir über enge, gewundene Straßen hinunter nach Muhr am See. »Da ham’s aan B’suffenen vorg’schickt, und wie der g’fallen is’, ham’s die Straßen ’baut«, sagte der Karlheinz.

Im Café Herzog bestellte Karlheinz einen schwarzen Kaffee (er trinkt keinen Alkohol), ich ein Spalter Helles. Ich schaute mir die riesige Kuchenauslage an und wusste schnell: nein. Seit vierzig Jahren hatte ich ausschließlich den Mohnkuchen meiner Mutter gegessen, ein Mirakel der Backkunst. Es wäre ein Frevel gewesen.

Am Ortsausgang stolzierten hinterher tatsächlich Kraniche in einer Wiese herum. Weißstörche segelten über uns, die sind zur Plage geworden und fressen die Küken der ungeheuer raren Kiebitze – Nesträuber, Schlächter. So drehen sich die Verhältnisse. Vor drei Dezennien gewahrte man bei uns überall Kiebitze und nirgendwo Störche.

Der Mais stand niedrig (zu wenig Regen), unsere Pflaumen sind wurmig (zu viel Regen), hingegen eine Bombenkartoffelernte und ein zu bejubelnder Weizenertrag – du kannst es der Totalität der Kulturpflanzen nicht recht machen.

Die Landschaft im versickernden Augustlicht bot sich in betörender, zum Niederknien animierender Lieblichkeit dar. Wie oft hatte ich herumgepestet, Mittelfranken sei karg, spröde, nicht der Rede wert?

Man liegt nicht selten falsch.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (27. August 2025 um 20:33 Uhr)
    Der Käfer, das ist doch das Fahrzeug, das den Ersatzmotor im Kofferraum hat? Davor darf man schon niederknien. Mittelfranken karg, spröde? Spalter Helles, Schäufele mit Kniedla!
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (27. August 2025 um 20:01 Uhr)
    Ach, war es schön, dieser Ausfahrt folgen zu können. Und erst der letzte Satz. »Man liegt nicht selten falsch.« Wie gewaltig klänge er erst, wenn er nicht nur am Ende einer Fahrt durch Mittelfranken stünde. Sonder des Öfteren auch hinter längeren welterklärerischen Episteln einzigartiger Koryphäen. Aber die trinken eben kein Spalter Helles. Eigentlich schade!

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