Mit Turbo in die Wiese
Von Ralf Wurzbacher
Die Bundesregierung will den »Bauturbo« für »mehr Tempo im Wohnungsbau und für mehr bezahlbaren Wohnraum«. Das ist nötig angesichts eines erdrückenden Mangels und Preisen, die selbst Normalverdiener in Richtung Armut drängen. Doch das erfüllt das geplante Gesetzeswerk nicht oder, wie es Joachim Rock vom Paritätischen am Mittwoch ausdrückte: »Das Problem der Wohnarmut bleibt.« Sein Verband ist Teil eines Viererbündnisses, das am Mittwoch vor die Presse trat, um »Alarm zu schlagen«. Denn mit dem Plan der Koalition, drohe ein »Rückfall in quantitatives Bauen, ohne die Ursachen der Krise anzugehen«.
Die Kritik richtet sich im speziellen gegen den neugefassten Paragraphen 246e im Entwurf für eine »kleine« Novelle des Baugesetzbuches, von Bauministerin Verena Hubertz (SPD), den das Kabinett vor zwei Monaten beschlossen hat. Im Kern geht es dabei um eine bis Ende 2030 wirksame Lockerung von bau- und planungsrechtlichen Vorschriften für den. Möglich machen sollen dies beispielsweise kürzere Genehmigungsfristen oder der Wegfall von Bebauungsplänen. Aus Sicht des Paritätischen, der Deutschen Umwelthilfe (DUH), der Bundesarchitektenkammer (BAK) sowie des Vereins Architects for Future gehen die Maßnahmen an den wohnungspolitischen Erfordernissen vorbei und seien dazu angetan, die Misere noch zu verschärfen.
Geschwindigkeit nütze nichts, »wenn in die falsche Richtung gefahren wird«, mahnte Rock. Statt »Vorfahrt für guten und erschwinglichen Wohnraum« zu ermöglichen, setze der »Bauturbo« einseitig auf die Schaffung von teuren und Luxusimmobilien. Fest machte er das an zwei »Blindstellen« in der Hubertz-Vorlage: Der ursprüngliche Passus, wonach die fraglichen Regelabweichungen erst ab Gebäuden mit sechs Wohnungen aufwärts greifen sollen, wurde im Zuge der Ressortabstimmung entsorgt. Damit dürften absehbar in großem Stil Einfamilienhäuser für Gutbetuchte auf der grünen Wiese priorisiert werden, weil diese die größten Renditen bescheren.
Verstärkt wird der Effekt durch die Tilgung der Klausel, schwerpunktmäßig in Gebieten mit »angespanntem Wohnungsmarkt« aktiv zu werden, dort, wo die Nöte am größten und die Preise am höchsten sind. Auch das stand in der Urfassung, in der jetzigen nicht mehr. Der Paritätische hatte in einer Ende 2024 veröffentlichten Studie die Armutsquote unter Berücksichtigung der immens gestiegenen Wohnkosten neu bestimmt. Demnach leben hierzulande mehr als 21 Prozent der Bevölkerung im Notstand, und nicht »nur« knapp über 15 Prozent, wie die offizielle Statistik ausweist. Nun seien »mehr Mieterschutz, mehr Sozialwohnungen, mehr Verantwortung für soziales und nachhaltiges Wohnen gefordert«.
Elisabeth Broermann von den Architects for Future betonte: »Wir brauchen keinen Neubau- sondern den Umbauturbo«. Leerstehende Gebäude, ungenutzte Dachflächen und zu große Wohnungen ließen sich in wenigen Monaten umfunktionieren, »günstiger, klimafreundlicher und ohne neue Flächen zu versiegeln«. So könnten bis zu 4,3 Millionen Wohneinheiten im Bestand erschlossen werden, sagte sie unter Verweis auf eine Analyse der TU Darmstadt. »Wir können es uns nicht mehr leisten, so weiterzubauen, als gäbe es kein Morgen«, so Broermann. Die Koalition erweise der Klima- und Ressourcenschutzpolitik einen »Bärendienst«, warnte DUH-Geschäftsführerin Barbara Metz. Kommunen brauchten klare Vorgaben für Grünanteile, Entsiegelung, Hitzeschutz und wassersensible Maßnahmen, damit Städte lebenswert und »nicht zu Hitzeinseln werden«.
Am 10. September hört der Bauausschuss des Bundestages Experten zum »Bauturbo« an. Das Bündnis hat ein Positionspapier mit acht Forderungen vorgelegt. Dazu zählen die Begrenzung von Paragraph 246e auf angespannte Wohnungsmärkte, Stopp von Zersiedlung, Beschränkung auf Objekte mit mindestens sechs Wohnungen und der bevorzugte Bau, mindestens 50,1 Prozent, von dauerhaft bezahlbarem Wohnraum.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (27. August 2025 um 21:18 Uhr)Mit Turbo in die Wiese? Eher angebracht wäre: Mit Turbo in die Wüste.
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