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Aus: Ausgabe vom 28.08.2025, Seite 5 / Inland
Rheinmetall

Rheinmetall baut aus

Konzern eröffnet neues Werk in Unterlüß. Es soll die modernsten Artilleriegeschosse in der EU herstellen
Von David Siegmund-Schultze
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Weil die Auftragsbücher aus den Nähten platzen: In Unterlüß sollen die modernsten und meisten Artilleriegeschosse in der EU gefertigt werden (27.8.2025)

Nur anderthalb Jahre vom ersten Spatenstich bis zur Werkseröffnung. Und das für die bald größte Fabrik für Artilleriemunition in der EU. Wenn es um die Hochrüstung der BRD geht, scheint dieser Tage fast nichts unmöglich zu sein: Am Mittwoch hat Rheinmetall in dem 3.500-Seelen-Dorf Unterlüß in der Südheide seine neueste Produktionsstätte eröffnet, um die dortige Waffenproduktion erheblich auszuweiten. Zugegen waren unter anderem Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD), Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) und NATO-Generalsekretär Mark Rutte.

2025 sollen in Unterlüß 25.000 Einheiten von 155-Millimeter-Geschossen gefertigt werden, 2027 sollen es bereits 350.000 werden. Insgesamt will der Konzern seine Jahresproduktion bis dann auf 1,5 Millionen Schuss verdoppeln. Damit wolle man der Ukraine helfen, den Krieg zu beenden. »Doch Rheinmetall hat kein Interesse am Frieden, sie profitieren von der Fortführung des Krieges«, so Camille, eine Sprecherin des Bündnisses »Rheinmetall entwaffnen«, gegenüber junge Welt. Der Konzern ist schon jetzt der führende Produzent der NATO-standardisierten Artilleriegeschütze und will diese Stellung nicht nur durch die Fabrikeröffnung in der Südheide festigen. Auch in Bulgarien soll ein Werk für ebendiesen Munitionstyp gebaut werden, wie der größte Rüstungskonzern der BRD am Dienstag bekanntgab. Der Chef der konservativen bulgarischen Regierungspartei GERB, Bojko Borissow, zeigte sich begeistert.

Auf ähnlich positive Reaktionen stößt die neue Fabrik in der Südheide. Die Region ist mit den Truppenübungsplätzen in Munster und Bergen sowie den Waffenfabriken in Bomlitz und Unterlüß »ein Hotspot für den Bereich Militär und Rüstung«, sagte Hans-Dietrich Springhorn vom »Friedensratschlag Lüneburger Heide« im Gespräch mit jW. »Hier ist die größte Konzentration von Übungsplätzen in Mitteleuropa.« Da die meisten Arbeitsplätze in der Region direkt oder indirekt von der Bundeswehr und den Waffenschmieden abhängen, seien kritische Stimmen sehr selten. Wer sich dagegen äußert, wird diffamiert und diskreditiert, so Springhorn. Und das hat Tradition: »Schon während der Weltkriege gab es hier ein Aufschwungswunder, auch damals hat die Gegend davon profitiert.«

In Unterlüß stellte die Rheinmetall-Borsig AG bereits in der Nazizeit Munition her. Hier befand sich ein Außenlager des KZ Bergen-Belsen, in dem Tausende Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter eingesperrt wurden, die größtenteils für die Munitionsfabrik schuften mussten. »Anfang April 1945 wurde der Ort schwer bombardiert – Sachen, die falsch sind, fallen einem irgendwann wieder auf die Füße«, so Springhorn. Davon würden die allermeisten vor Ort aber nichts wissen wollen. Statt dessen sei die Militarisierung der Gesellschaft überall spürbar. »In jedem Sportverein, bei jedem Dorffest sitzt die Bundeswehr als Ehrengast in der ersten Reihe. Die örtlichen Eliten und Parteien sind eng mit dem Militär und der Rüstungsindustrie verflochten, auch personell. Das gilt auch ganz stark für die Grünen«, konstatierte Springhorn.

Kein Wunder, denn das Waffengeschäft boomt. Im ersten Halbjahr 2025 ist der Umsatz von Rheinmetall um 24 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Während zivile Sparten abgesondert werden, setzt der Konzern voll auf Krieg: »Die Aktivitäten in zivilen Bereichen« zählten »nicht mehr zum strategischen Kerngeschäft«, hieß es in einer Mitteilung Anfang August. Seit 2020 ist der Wert der Rheinmetall-Aktie um mehr als das 15fache gestiegen. Der Höhenflug wurde zunächst durch den Ukraine-Krieg ausgelöst. Einen noch größeren Satz machte der Aktienwert, als im März der abgewählte Bundestag das größte Aufrüstungsprogramm der BRD-Geschichte in Gang setzte.

Das Bündnis »Rheinmetall entwaffnen« organisiert dagegen Widerstand. Am Mittwoch blockierten Demonstranten den Zugang zum zentralen Karrierecenter der Bundeswehr in Köln. »Die BRD will eine treibende Kraft in der NATO sein. Rheinmetall spielt dabei eine entscheidende Rolle. Die Waffen gehen dann an Länder wie Israel und die Türkei, die sie gegen das palästinensische und kurdische Volk einsetzen«, so Camille.

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