Gegründet 1947 Montag, 13. Oktober 2025, Nr. 237
Die junge Welt wird von 3036 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 28.08.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Westsaharakonflikt

»Die EU befindet sich auf dem Irrweg«

Marokko sichert Westsahara-Besetzung durch Einbindung internationaler Akteure ab. Ein Gespräch mit Tim Sauer
Von Jörg Tiedjen
DSC06426.jpg
Ein Provisorium seit 50 Jahren: Straße im Flüchtlingslager Aousserd bei Tindouf (17.6.2022)

Wasserstoff ist eine begehrte Ressource. Er wird dringend gebraucht, um zum Beispiel Stahl umweltneutral herzustellen. Doch der Bedarf ist kaum zu decken. Jetzt möchte Marokko groß einsteigen und eine Produktion aufbauen, wie Sie in einem aktuellen Bericht schreiben. Aber Sie sagen auch, dass es Rabat vor allem darum geht, die Besetzung der Westsahara gewissermaßen grünzuwaschen?

Marokko verfolgt seit langem die Strategie, internationale Akteure über die Beteiligung an seiner völkerrechtswidrigen Ressourcenausbeutung in seine seit 50 Jahren aufrechterhaltene Besetzung der Westsahara zu verwickeln. Der Erneuerbare-Energien-Sektor und hier zuletzt insbesondere die Wasserstoffproduktion spielen dabei wegen ihres nachhaltigen Images und des außergewöhnlichen Potentials der Westsahara eine immer größere Rolle. Die von der marokkanischen Regierung angekündigten Megaprojekte, von denen der Großteil in der besetzten Westsahara geplant ist, wurden nun kürzlich von der Energieministerin bestätigt. Anlagen mit unglaublichen 20 Gigawatt Leistung – das entspricht etwa 20 Atomkraftwerken – aus Wind und Sonne sollen für die Wasserstoffproduktion auf knapp 10.000 Quadratkilometern installiert werden. Damit hat Marokko über zehnmal die Fläche Berlins in der Westsahara verplant – Land und Ressourcen, für deren Nutzung Marokko kein völkerrechtliches Mandat hat. Alle an solchen Projekten beteiligten Unternehmen – zu den üblichen Verdächtigen wie Siemens Energy hat sich nun das Hamburger Unternehmen Nordex gesellt – tragen zur Verfestigung des Besatzungszustandes bei und unterstützen den Rechtsbruch.

Dabei hat doch das höchste EU-Gericht vergangenes Jahr das endgültige Urteil gefällt, dass Unternehmen aus den Mitgliedsländern nicht mehr einfach in der besetzten Westsahara Geschäfte machen können. Aber jüngst haben Sie mitgeteilt, dass Brüssel vorhat, mit Marokko eine Möglichkeit zu ersinnen, die Entscheidung zu umgehen?

Der EuGH hat in der Tat Ende vergangenen Jahres drei wegweisende Urteile gefällt und damit die Anwendung der EU-Marokko-Handelsabkommen annulliert. Im Kern wurde bestätigt, dass die Westsahara nicht zu Marokko gehört und ihre Einbeziehung in Handelsverträge mit Marokko ohne die Zustimmung des sahrauischen Volkes dessen Selbstbestimmungsrecht verletzt. In der Begründung des Gerichts steht allerdings auch, dass solche Abkommen durchaus rechtskonform sein können, falls eine Zustimmung der Sahrauis vorweg »vermutet« werden kann – und diese Ausflucht scheint die EU nun gewählt zu haben. Die einjährige Frist für die Wirksamkeit der Urteile läuft im Oktober aus. Daher hat die EU-Kommission den -Rat kürzlich um das Mandat zur Neuaushandlung der Verträge mit Marokko auf Basis der »vermuteten Zustimmung« gebeten – mit Einbeziehung der Westsahara. Dies ist jedoch ein Irrweg, den die EU nun zum wiederholten Male antreten will. Jedes Abkommen, das ohne Einbeziehung der vom Gericht als Vertretung des sahrauischen Volkes anerkannten Befreiungsfront Polisario zustande kommt, wird die vom EuGH klar definierten Kriterien nicht erfüllen können und droht erneut im Gerichtssaal einkassiert zu werden. Wir appellieren da auch an die Bundesregierung, sich auf EU-Ebene für die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit einzusetzen.

Eine Kennzeichnungspflicht wurde ebenfalls eingeklagt. Allerdings werden Erzeugnisse aus der Westsahara wie Tomaten, Tintenfisch oder Sardinen bisher weiter als marokkanische Waren verkauft. Wann werden sie endlich korrekt als »made in Western Sahara« ausgewiesen?

Genau das müsste schon immer drauf stehen, und spätestens mit diesem eindeutigen Urteil ist das viel praktizierte Gegenteil rechtswidrig. Bei Importen wie auch beim Verkauf in der EU darf auf Produkten aus der Westsahara nicht »Marokko« stehen, sondern muss die Westsahara als Herkunftsland benannt werden. Wie nicht anders zu erwarten, mehren sich jedoch die Indizien, dass das Urteil bei den beteiligten Firmen kaum Beachtung findet. Daher hat nun der spanische Bauernverband eine Verbraucherschutzklage gegen die Supermarktkette Carrefour eingereicht. Wir gehen davon aus, dass bei dieser eindeutigen Rechtslage mit Klagen von der Frente Polisario gegen beteiligte Unternehmen zu rechnen sein wird. Daher sollten sich auch Rewe, Edeka und Co. mal damit befassen.

Statt dessen sind aber Ihren Angaben zufolge der TÜV Rheinland oder die Initiative Global G. A. P. sogar daran beteiligt, in der Westsahara aktiven Unternehmen auch noch Bestnoten zu verleihen?

Der Markt ist riesig für Zertifikate und Label, die die Einhaltung gewisser Standards garantieren und den Verbrauchern Unbedenklichkeit suggerieren sollen. Doch nicht nur wegen der nun von uns aufgedeckten Absegnung von Lebensmittelbetrug und Zertifizierung von Landwirtschaft in der besetzten Westsahara als »verantwortungsbewusst« bekommt der nachhaltige Anschein Risse. Es wundert dabei schon, dass die beteiligten Unternehmen und Organisationen so systematisch Völkerrecht und EuGH-Urteile ignorieren, wo doch ihre einzige Ware Vertrauen ist. Genau dieses verspielen TÜV Rheinland, IFS Food und nicht zuletzt die in der Landwirtschaft sehr verbreitete Initiative Global G. A. P. gerade.

Tim Sauer ist Mitarbeiter von ­Western Sahara Resource Watch

wsrw.org

Tageszeitung junge Welt am Kiosk

Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe. 

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (27. August 2025 um 22:14 Uhr)
    Recht haben und Recht bekommen sind zweierlei in Deutschland ! (https://www.rechtsanwalt-tiergarten.de/recht-haben-und-recht-bekommen-sind-zweierlei-in-deutschland/), das dürfte auch für die EU gelten.

Ähnliche:

  • Protest  in Berlin gegen die Ausplünderung der Westsahara (25.2....
    11.08.2025

    Das Kapital der Wüste

    Die aktuelle Ausgabe der Review of African Political Economy ist der Westsahara gewidmet
  • 48 Jahre Demokratische Arabische Republik Sahara: Feierlichkeite...
    03.12.2024

    Wendepunkt erreicht

    Westsahara: Nach den jüngsten EuGH-Urteilen blickt die Solidaritätsbewegung mit Zuversicht in die Zukunft
  • Der EuGH bestätigt die internationale Rechtslage und bestärkt di...
    05.10.2024

    Westsahara ist nicht Marokko

    Europäischer Gerichtshof entscheidet endgültig gegen Rabat

Mehr aus: Schwerpunkt