Im Kampfmodus
Von Roland Zschächner
Es sollte ein Zeichen gegen die Proteste im Land werden, getragen von den Bürgern, die »keinen Konflikt wollen und ein normales Leben wünschen«. So hatte Miloš Vučević die Kundgebungen der Anhänger seiner Serbischen Fortschrittspartei (SNS) am Mittwoch vorgestellt. Doch die Partei, der Vučević vorsteht, vermochte lediglich 33.000 Menschen auf die Straße zu bringen. Das ist eine kleine Zahl angesichts der rund 800.000 Parteimitglieder – circa zehn Prozent der Bevölkerung. Die Fortschrittler sind ins Stocken geraten. Nur noch wenige bekennen sich offen zu ihrer Partei, die ein Sprungbrett für Posten ist. Heute sind maskierte Hooligans nötig, um die Parteibüros vor den vorwiegend von Studierenden getragenen Protesten zu schützen.
Das heißt nicht, dass die Partei am Ende ist. In ihr bündeln sich die Seilschaften derer, die bei jeder Gelegenheit die Hand aufhalten, um ein Stück vom Kuchen abzubekommen. Die Korruption ist unbeliebt und tödlich, wie der Einsturz des Bahnhofsvordachs von Novi Sad im vergangenen November mit 16 Toten zeigte. Es war der Auslöser der bis heute anhaltenden Protestbewegung. Sie entsprang an den Universitäten. Ihre Forderung nach Aufklärung und dem Ende der Korruption wurde und wird von einer Mehrheit der Serben unterstützt. Als sich herausstellte, dass trotz Massendemonstrationen die SNS weiterhin fest im Sattel sitzt, wurde die Forderung nach Neuwahlen populär. Eine Idee für eine andere Gesellschaft blieb vage liberal. Der kleinste gemeinsame Nenner: die Ablehnung des omnipräsenten Präsidenten Aleksandar Vučić.
Vučić ist die Person, die die Macht der SNS symbolisiert. Von westlichen Medien werden ihm politische Attribute wie Nationalist oder Autokrat angeheftet. Er war von Beginn seiner Karriere an ein Opportunist, er ist es geblieben. Die SNS ist ein Produkt der US-Balkanpolitik und Garant für die Westintegration des Landes – auch wenn die Freundschaft zu Russland und China beschworen wird. Pendelpolitik mit stärkerem Ausschlag nach Westen: Belgrad rüstet die Ukraine ebenso mit Waffen aus wie Israel, es gibt eine enge Kooperation mit Frontex gegen Geflüchtete genauso wie mit der NATO. Vučić’ Meisterstück war im vergangenen Jahr der Ausverkauf der serbischen Lithiumvorkommen an westliche, allen voran deutsche Autokonzerne – gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung.
Das heißt nicht, dass Brüssel und Berlin Vučić und die Seinen nicht eines Tages fallenlassen werden. Das Drehbuch für Farbrevolutionen stammt schließlich aus dem Serbien des Jahres 2000. Während die SNS ankündigt, Brosamen an die Ärmsten zu verteilen, bleiben den Protesten nur die Straße und der liberalen Opposition das Anrufen der EU als vermeintlicher Wahrerin von Demokratie und Rechtsstaat. Darum ging es nie. Um was es geht, hat Ursula von der Leyen 2023 auflisten lassen: der Zugang zu 34 kritischen Rohstoffen, darunter auch Lithium.
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vom 22.08.2025