Gerechtigkeit für Andi!
Von Ralf Wurzbacher
Bekanntlich mahlen die Mühlen der Justiz langsam. Das gilt im Alltagsbetrieb und erst recht in Fällen, bei denen es um Personen von Rang und Namen geht. Andreas Scheuer (CSU) war das einmal, heute nicht mehr, seit er aus der Politik ausgeschieden ist und sich als Unternehmer betätigt. »Ausländermaut«, böse juristische Schlappe, Milliardenschäden für den Steuerzahler. Ach ja, diese Geschichte, aber das ist doch ewig her. Und erst jetzt, Jahre später, muss er sich seiner Verantwortung stellen? Vielleicht.
Am Mittwoch teilte die Berliner Staatsanwaltschaft mit, dass sie Anklage gegen den früheren Bundesverkehrsminister wegen des Verdachts der Falschaussage im »Pkw-Maut-Untersuchungsausschuss« erhoben hat. Auch der: fast vergessen, vor allem zum Vergessen. Trotz erdrückender Beweislast gab es, im Sommer 2021, einen »Freispruch« mit kleinen Kratzern, jedoch rückblickend grünes Licht für ein Vorgehen, das, wenn auch risikobehaftet, »vertretbar« gewesen sei. 2023 bekam die BRD die Rechnung aufgetischt: 243 Millionen Euro fürs »Risiko«, dazu die Kosten eines jahrelangen Rechtsstreits, der mindestens 50 Millionen Euro verschlungen hat.
Der Schiedsgerichtsspruch zugunsten der verhinderten Betreiber Kapsch und Eventim war die nachträgliche Bestätigung dessen, was die damalige Opposition aus Bündnis 90/Die Grünen, Linkspartei und FDP in ihrem Sondervotum zum U-Ausschuss festgehalten hatte. »Nach der Vernehmung von 72 Zeugen und Sachverständigen in 24 Beweisaufnahmen bleibt man fassungslos zurück und blickt in einen politischen Abgrund von Ignoranz, Verantwortungslosigkeit, Bedenkenlosigkeit und Rechtsbruch – verbunden mit einem Erschrecken über mangelhaftes Regierungshandwerk.« Was schon damals alle Spatzen von den Dächern pfiffen: Scheuer hat – sehr wahrscheinlich – vor dem Parlament gelogen.
Konkret geht es um ein mögliches Angebot der im Konsortium »Autoticket« zusammengeschlossenen Investoren, mit einem Vertragsabschluss zur Pkw-Maut zuzuwarten, bis höchstrichterlich in der Angelegenheit entschieden ist. Im Juni 2019 hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) den »diskriminierenden« deutschen Sonderweg als rechtswidrig untersagt, mit dem Fahrer aus dem Ausland abkassiert und einheimische durch Senkung der Kfz-Steuer verschont werden sollten. Nur Stunden später annullierte das Scheuer-Ministerium aus ordnungspolitischen Gründen und wegen vermeintlicher »Schlechtleistungen« die Kontrakte, die es ein halbes Jahr davor im Hauruckverfahren besiegelt hatte. Bei den Befragungen im U-Ausschuss beteuerten er und der nun mitangeklagte ehemalige Staatssekretär Gerhard Schulz (parteilos) wiederholt, es habe die fragliche Offerte von »Autoticket« nie gegeben.
Daran haben die Ermittler offenbar Zweifel. Mit Blick auf das fragliche Treffen mit den Managern vom 29. November 2018 »sollen beide Angeschuldigte entgegen ihrer tatsächlichen Erinnerung angegeben haben, sich an ein solches Verschiebungsangebot nicht erinnern zu können«, heißt es in einer Bekanntmachung der Staatsanwaltschaft. Die Erhebung der Anklage zum Landgericht Berlin I erfolgte »aufgrund der sich aus dem Verfahrensgegenstand und der Position der Angeschuldigten ergebenden besonderen Bedeutung der Sache«. Bei erwiesener uneidlicher Falschaussage drohe eine »Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren«. Bleibt die Frage, warum der Schritt erst jetzt erfolgt. Die Ermittlungen laufen bereits seit über drei Jahren und schon vor 15 Monaten hieß es, eine Entscheidung stünde kurz bevor.
»Besser spät als gar nicht«, findet Carl Waßmuth vom Verein »Gemeingut in Bürgerinnenhand« (GiB). Mit seiner Pkw-Maut und anderen Maßnahmen habe Scheuer die »Privatisierung auf dem Wege öffentlich-privater Partnerschaften, ÖPPs, brachial vorangetrieben«, erklärte er am Mittwoch gegenüber jW. »Bei ÖPPs ist Korruption endemisch – zum größten Teil leider legal. Schön wäre es, wenn demnächst auch legale Korruption unter Strafe gestellt und verfolgt würde.« Apropos: Ende Januar berichtete der Spiegel über eine »geheime Spenderliste« mit Namen von Unternehmen, die Scheuers Kampagne im Bundestagswahlkampf 2021 mit »mindestens 132.000« unterstützten. Darunter findet sich der Automobillogistiker Mosolf, der im Gegenzug »um politische Flankierung für eine größere Investition in Bayern« bat. Heute sitzt Scheuer als beratendes Mitglied, sprich Lobbyist, im Mosolf-Fachbeirat.
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