Die Keplerin
Von Herbert Bauch
Vor 250 Jahren fand der letzte Hexenprozess im deutschsprachigen Raum statt. Die Angeklagte Anna Maria Schwäglin wurde zum Tode verurteilt, die Hinrichtung aber nicht vollstreckt. Damit fand eines der grauenvollsten Kapitel in der Frühen Neuzeit sein Ende, dem Tausende – vorwiegend Frauen – zum Opfer fielen.
Die heute in Manhattan lebende, 1976 in Toronto geborene Schriftstellerin Rivka Galchen legt mit ihrem Roman über Katharina Kepler und ihren Prozess, dem bekanntesten in einer Übergangszeit zwischen Mittelalter und der Epoche der Aufklärung, ein Buch vor, dessen historischer Hintergrund gut dokumentiert ist. Gleichwohl ist der Prozess, wie sie schreibt, »weitestgehend fiktional«. Namen und Details sind häufig erfunden.
Katharina wurde am 8. November 1547 in Eltingen, bei Stuttgart, als Katharina Guldenmann geboren. Der Vater, ein reicher Bauer und Schultheiß, betrieb mit seiner Frau eine Gastwirtschaft; sie gehörten der lutherischen Glaubensrichtung an. Früh musste die Tochter in der Schenke mithelfen, wo sie vermutlich Heinrich Kepler, ihren zukünftigen Ehemann, kennenlernte. Im Mai 1571 heirateten sie. Bereits nach sieben Monaten kam ihr erstes von sieben Kindern zur Welt: Johannes, der später berühmte kaiserliche Astrologe, Mathematiker und Astronom. Nur drei ihrer Kinder waren noch am Leben, als Katharina als Hexe verschrien wurde. Von Johannes stammen die meisten Informationen über die Keplerin, wie sie in Rivka Galchens Roman häufig genannt wird.
Katharinas Ehe war alles andere als harmonisch. Heinrich entzog sich 1574 der angespannten Atmosphäre in der Familie und verdingte sich lieber als Söldner in den Spanischen Niederlanden. Katharina reiste ihm Monate später nach, zwang ihn zur Rückkehr. Daraufhin ließ sich die Familie in Leonberg nieder, wo sie das Bürgerrecht erhielt. Heinrich war selten zu Hause, fünfzehn Jahre nach seinem ersten Verschwinden machte er sich endgültig aus dem Staub. Was der Keplerin in ihrem Prozess zum Nachteil ausgelegt wurde. Sie sollte ihren Ehemann erst mit Zauberei an sich gebunden und dann in den Tod getrieben haben. Johannes beschreibt die Mutter in seiner Autobiographie wenig schmeichelhaft als von kleiner, magerer Gestalt, zänkisch und unangepasst. Gleichwohl unterstützte er sie vorbehaltlos, nachdem es zur Anklage gekommen war.
Zwei kleine Erbschaften sicherten Katharinas Lebensunterhalt. Sie betrieb Landwirtschaft, kannte sich bestens mit Heilkräutern aus, bereitete Salben und Arzneien zu, kümmerte sich um kranke Menschen und Tiere. Gleichwohl war es eine unruhige Zeit, Kometen am Nachthimmel schienen Unheil zu verkünden, Missernten nahmen zu, eine große Kälte brach ein, die später als »kleine Eiszeit« bezeichnet wurde. Abergläubische Rituale und Hexenhysterie verstärkten einander, befördert von Flugblättern, die von Hexen und Hexenprozessen berichteten. Sie machten auch vor Leonberg und Katharina Kepler nicht halt. Die selbständige, stolze, selbstbewusste Keplerin geriet ins Blickfeld der Neider, auch weil ihre Kinder erfolgreich waren. Unangepasste Frauen, die ohne Ehemann klarkommen, störten die Gemeinschaft. Bei Rivka Galchen liest sich das so: »Witwen bleiben gewöhnlich daheim und laufen nicht wie ein Wirbelwind ständig in der Stadt herum. Die Keplerin hat sich, umtriebig, wie sie war, eher wie ein Mann gebärdet.«
Anlass für Gerüchte und Denunziationen war ein Streit mit der Glasersfrau Ursula Reinbold. Die litt an Kopf- und Unterleibsschmerzen. Ihr Bruder, ein Barbier und Quacksalber, verabreichte ihr verschiedene Mittelchen, die die Leiden noch verstärkten. Da müsse Zauberei im Spiel sein – Ursula Reinbold erinnerte sich, dass Katharina ihr einmal einen bitteren Trank angeboten hatte. Die Keplerin wurde verantwortlich gemacht, die Eheleute zeigten sie bei der Obrigkeit an. Katharina nahm das nicht hin und erstattete Gegenklage wegen Verleumdung. Doch das Verhängnis nahm seinen Lauf.
Zwischen 1615 und 1621 musste sich die Mutter des Astronomen gegen die Anschuldigung verteidigen, eine Hexe zu sein. Johannes übernahm die Verteidigung. Vierzehn Monate liegt die über Siebzigjährige in Ketten. Am 20. August 1621 fand das peinliche Gericht statt. Katharina blieb angesichts der Folterinstrumente standhaft, sie legte kein erzwungenes Geständnis ab. Im Oktober 1621 kann Johannes ihre Freilassung erwirken, der Prozess endete mit einem Freispruch. Wenige Monate später stirbt Katharina Keppler.
Die Autorin erzählt die Geschichte vorwiegend aus der Perspektive ihrer Protagonistin, ergänzt sie mit Dokumenten, fiktiven Zeugenbefragungen und dem fiktiven Bericht eines Nachbarn. Der 1669 erschienene Roman »Der abenteuerliche Simplicissismus« von Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen bietet Galchen Orientierung für ihren Stil, der auf eine feingliedrige Zeichnung ihrer Akteure verzichtet.
Rivka Galchen: Jeder weiß, dass deine Mutter eine Hexe ist. Roman. Aus dem Englischen von Grete Osterwald. Rowohlt-Verlag, Hamburg 2024, 320 Seiten, 24 Euro
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