Inside Job royal
Von Ken Merten
Vom großen Schatten der Rauchschwaden verdeckt, die vom World Trade Center in New York City aufstiegen, geriet die nepalesische Monarchie ins Kippen. Mit der maoistischen Guerilla bereits seit Mitte der 1990er im Gefecht und vor allem außerhalb der Kapitale Kathmandu schon weit zurückgedrängt, sollte der nach »9/11« von Washington ausgerufene »War on Terror« eigentlich auch im Himalaja geführt werden, damit die ihrem Ende übergebene Geschichte nicht wieder neu anfinge.
Doch die Ordnung hatte sich selbst zerschossen, waren es doch nicht in den Volkskrieg gezogene Kleinbäuerinnen, Arbeiter oder ehemalige Leibeigene, die König Birendra samt Familie liquidierten, sondern der Thronfolger. Kronprinz Dipendra, so der offizielle Bericht, vollzog individualterroristisch den Inside Job: Er lief am 1. Juni 2001 im Königshaus Amok, ermordete dabei seine engere Familie, ehe er sich selbst in den Kopf schoss, drei Tage lang König im Koma war und dann an den Selbstverletzungen starb. Birendras Bruder Gyanendra besetzte behelfsmäßig den Thron, der 2008 vollends abgeschafft wurde. Seitdem stellen die sozialdemokratische Kongress-Partei oder die Kommunistische Partei den Staatspräsidenten des säkularisierten Landes.
So viel Wikipedia eingangs einer Romanrezension ist unstatthaft, aber angezeigt bei derart schwerwiegenden politischen Vorgängen, die die Westhemisphäre bis heute kaum jucken. Philip Krömer dagegen juckten sie sehr, also tat er der deutschsprachigen Literaturmenschheit den Gefallen, aus dem Stoff einen Roman zu fertigen. Ein falsch etikettierter Dokumentarband aber, wie sich fürchten ließe, wenn jemand zu Protokoll geben möchte, ohne künstlerisch vermitteln zu wollen, ist »Kumari« keineswegs. Auch wenn im Roman Befürworter des Antiliterarischen hausen: »Auf den Nutzen komme es an«, so die Rebellen, die die 15jährige Rupa Rana aus ihrem Sklavinnendasein befreien, indem sie ihren großbäuerlichen Eigentümer aufknüpfen, ihr aber auch jene Schundliteratur abnehmen, die nicht »den Volksmassen« diene. Die einzige Lektüre der Neuguerillera und überzeugten Jungmaoistin auf dem beschwerlichen Weg nach Kathmandu sind die »Worte des großen Vorsitzenden«.
Rupa Ranas ist der Coming-of-Age-Strang des Plots, und wie ihr gleichsam Theorie und Praxis im religiösen Blutsuff abhanden geraten, ist einer der literarischen Höhepunkte des Romans, der zeigt, wie schmerzhaft die vom Großen Steuermann Mao Zedong geforderte Verschmelzung mit den nicht per se der Revolution gewogenen Massen sein kann.
Rupa Rana ist Krömers einzige Protagonistin, die keinem historischen Vorbild folgt: Dipendra tritt auf, ein fanatischer Palastrevoluzzer in Wohlstandsspeck, der sich wie Shakespeares Heinrich V. verkleidet unters Volk schmuggelt, auf der Suche nach Gleichgesinnten, die ebenfalls das rote Büchlein in Herznähe tragen. Die titelgebende Kumari wiederum ist Wirtin der Göttin Taleju und damit nicht mehr und nicht weniger als ein leibliches Artefakt des Buddhismus und Hinduismus, das aussortiert wird, sobald der Mädchenkörper auch nur einen Tropfen eigenen Bluts verschüttet.
An, bei und für sich ist nur die Gottheit: Die einzige, die in der ersten Person Singular erzählen darf, ist Taleju, als Allwissende: »Diese Begabung enthalte ich allen Sterblichen vor (…). Es ist das Los der Menschheit, verführbar zu sein. Sie fänden einen Grund, mich für ihre weltlichen Absichten einzuspannen. Einen noblen zuerst, vielleicht zur Klärung eines theologischen Zweifels. Und später, wenn diese Hürde erst einmal genommen wäre, würden sie mit Spionage weitermachen, wie dem Auskundschaften strategischer Schwachpunkte für eine militärische Attacke. Etwa gegen die in den Bergen verborgenen maoistischen Partisanenverbände.«
Die Göttin ist Sympathisantin der Partei, insbesondere Rupa Ranas, ihrer »kleinen Maoistin«, wie sie sie maternalistisch nennt. Kumari und Rupa Rana schließlich teilen Geschlecht und soziale Herkunft miteinander – im Grunde alles, was die wankende Ordnung ausmacht, die der Weltgeist gern umgetreten sähe.
Philip Krömer: Kumari, Septime-Verlag, Wien 2025, 216 Seiten, 24 Euro
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