Geschäfte und Wunder
Von Holger Römers
Das barocke Gemälde, das im Zentrum des Dokumentarfilmes »Ecce Homo – Der verlorene Caravaggio« steht, tauchte 2021 im Katalog eines Madrider Auktionshauses auf. Daraufhin sorgte das Werk, das dem Umkreis José de Riberas zugeschrieben wurde, in den sozialen Medien prompt für Furore bei Kunstinteressenten, da der Schätzpreis von 1.500 Euro in augenfälligem Kontrast zu den kompositorischen Qualitäten stand, die schon auf Abbildungen zu erkennen waren. Durchaus folgerichtig wurde das gute Stück nie unter besagten Bedingungen zur Versteigerung aufgerufen, sondern direkt an einen in Spanien ansässigen Briten verkauft – und zwar für 36 Millionen Euro, wie Presseberichten zu entnehmen war, die nach Fertigstellung dieses Films publik wurden.
Zwischenzeitlich war die Leinwand, die Christus gemäß der traditionellen Ecce-Homo-Ikonographie zwischen Pontius Pilatus und einem Häscher zeigt und wahrscheinlich zwischen 1605 und 1609 entstanden ist, im renommiertesten Museum Spaniens, im Prado, prominent ausgestellt und als eigenhändige Arbeit Caravaggios ausgewiesen worden. An dessen Urheberschaft bestehen kaum noch Zweifel, so dass das Ölbild selbstredend auch in die große monographische Retrospektive über den 1571 geborenen Italiener aufgenommen wurde, die bis vor zwei Wochen im Römer Palazzo Barberini stattfand.
Umso haarsträubender ist also die Vorstellung, dass man buchstäblich im Vorbeigehen eines von etwa 60 erhaltenen Originalen des (gegenwärtig) wohl populärsten aller Alten Meister hätte erwerben können, wenn man spontan bereit gewesen wäre, aus reinem Wohlgefallen – oder reiner Spekulation – fünfzehn grüne Scheine auf den Tresen zu legen. Wie aus Interviews hervorgeht, die Regisseur Álvaro Longoria regelmäßig in seinen achten Langfilm einstreut, hatte das Bild nämlich, bevor es beim ahnungslosen Auktionator landete, für den ursprünglichen Spottpreis wochenlang im Schaufenster einer Madrider Kunsthandlung zum Verkauf gestanden.
Als glücklicher Flaneur hätte man für 1.500 Euro freilich nicht wirklich einen Caravaggio bekommen. Wie schon Harry Moses’ »Who the #$&% is Jackson Pollock?« (2006) oder Andreas Koefoeds »The Lost Leonardo« (2021) eindrücklich vor Augen führten, bedarf es einer geradezu alchemistischen Verwandlung, damit ein bis dato unbekanntes Werk eines verstorbenen Meisters als Bluechip-Geldanlage anerkannt wird. Zu dem Zweck muss soziales, kulturelles oder sogar politisches Kapital mobilisiert werden, das Koefoeds Protagonisten im Übermaß besaßen, Moses’ Protagonistin hingegen gar nicht. Der ehemaligen Lkw-Fahrerin reichte nicht einmal ein veritabler Fingerabdruck, um eine im Trödelladen erstandene Leinwand jenem Kunststar zuschreiben zu lassen, der denselben Fingerabdruck auf anerkannten Werken und museal konservierten Malutensilien hinterlassen hat. Als Emmanuel Macron höchstselbst bei dem Rummel mitmischte, den ein potentes Auktionshaus um ein fragwürdiges Renaissancestück veranstaltete, konnte aus einer beschädigten Holztafel indes – Simsalabim! – ein strahlend schönes Werk Leonardos werden.
Die hier erzählte Geschichte ist nun zwischen diesen beiden Extremen anzusiedeln. Denn der Widerspruch liegt auf der Hand, wenn die bürgerliche Familie, die das Erbstück umstandslos verscherbeln wollte, nachträglich sentimental erscheinen will. Diese Leute können deutlich weniger Mitgefühl wecken als Moses’ herbe Proletin. In der Dramaturgie des 1968 geborenen spanischen Filmemachers bleibt die Exzentrik der Kunstszene wiederum auf eine Nebenfigur beschränkt. Anders als in den beiden anderen Filmen fallen die sonst auftretenden Kunsthistoriker und -händler weder durch Expertise noch durch Wucherpraktiken auf. Dazu passt, dass in kurzen Nachinszenierungen das Laienspiel dieser Interviewpartner stets als solches erkennbar bleibt, so dass »Ecce Homo« vergleichsweise wenig Amüsement bieten mag. Doch die biedere Solidität dieses Films lässt seinen nüchternen Erkenntniswert letzten Endes nachhaltiger zur Geltung kommen: dass uns nämlich nichts Wunderbareres gezeigt wird als ein schnödes Geschäft.
»Ecce Homo – Der verlorene Caravaggio«, Regie: Alvaro Longoria, Spanien/Italien, 78 Min., bereits angelaufen
75 für 75
Mit der Tageszeitung junge Welt täglich bestens mit marxistisch orientierter Lektüre ausgerüstet – für die Liegewiese im Stadtbad oder den Besuch im Eiscafé um die Ecke. Unser sommerliches Angebot für Sie: 75 Ausgaben der Tageszeitung junge Welt für 75 Euro.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Ähnliche:
- Rise and Shine Cinema08.11.2023
Aufbäumen gegen die Qual
- Filmstill »Franco vor Gericht«, playloud.org21.10.2017
»Problem: In Spanien gab es keine Aufarbeitung«
- REUTERS/Susana Vera15.04.2017
»Die Kirche wollte sich überhaupt nicht äußern«
Regio:
Mehr aus: Feuilleton
-
Nachschlag: Trump-Erfinder
vom 04.08.2025 -
Vorschlag
vom 04.08.2025 -
Veranstaltungen
vom 04.08.2025 -
Schrotti überalli
vom 04.08.2025 -
Tolle Frauen
vom 04.08.2025 -
Das Entlein ein Schwan
vom 04.08.2025