Tolle Frauen
Von Gisela Sonnenburg
Vom »Walkürenritt« zum »Feuerzauber«, vom Wogen der Rheinwellen bis zum Untergang der Götter: Der »Ring« von Richard Wagner spült massive, dennoch fragil anmutende Klanggewitter ins Ohr, durchgestylt und mit Spielraum für Tiefsinn und Rhythmus. Ist das nun typisch weiblich? Eigentlich nicht. Aber Simone Young, die erst ihr zweites Jahr bei den Bayreuther Festspielen begeht, dirigiert das vierteilige Werk mit solch femininer, vor Kraft und Vielfalt nur so strotzender Verve, dass der Urpatriarch Wagner nachgerade als Frauenversteher rüberkommt.
Dazu passt, dass die Debüts einiger Sängerinnen die Zuschauer und Zuhörer, die am Radio und in den Mediatheken abhängen, begeistern. Jennifer Holloway aus den USA, die schon in München, Dresden, Berlin und Hamburg positiv auffiel, dreht als Sieglinde mit kristallklarer, aber auch warm getönter Stimme voll auf. Anna Kissjudit, aus Budapest kommend und von Thomas Quasthoff in Berlin ausgebildet, nuanciert als Erda eine erotische Anmutung mit beinahe rauen Anklängen.
Eine Neuentdeckung ist Christina Nilsson. Die schwedische Newcomerin rettet »Die Meistersinger von Nürnberg« mit ihrer herzlich-brillierenden Darstellung der Eva. Auch die Bayreuther Bestandsdiven halten ihre Versprechen. Catherine Foster ist seit zwölf Jahren vor Ort die Walküre Brünnhilde: eine perfekte Verkörperung der verstoßenen Wotantochter. Wenn dann noch die Lettin Elīna Garanča und die gebürtige Moskowiterin Ekaterina Gubanova im Wechsel beim »Parsifal« das verflucht laszive Verführungswesen Kundry geben, ist klar: Bayreuth ist derzeit eine Stadt der Frauen.
Ist vielleicht kein Zufall, dass mit Katharina Wagner eine Frau die Festspiele leitet. Die Herren der Schöpfung kommen gesanglich zwar auch nicht zu kurz: Georg Zeppenfeld, Michael Spyres, Michael Volle und Klaus Florian Vogt sind nur einige der männlichen Stars, die man nicht missen möchte. Die Regisseure aber, die sich hier austoben, bilden eher das große Bayreuther Leiden als ein Glück.
Und dennoch: Simone Young toppt am Pult im »mystischen Abgrund«, wie der verdeckt bleibende Orchestergraben genannt wird, alles. Als erste weibliche Kraft im Maschinenraum der Melodien zeigt sie, was geht. Dagegen fallen die Dirigenten Daniele Gatti (»Die Meistersinger von Nürnberg«) und Pablo Heras-Casado (»Parsifal«) krass ab. Was irgendwie ins Weltbild vom »Ring« passt: Wotans depressiver Patriarchenwahn führt in den Ruin. Frauen, übernehmt!
Bis zum 30.8. ist der aktuelle Bayreuther »Ring« online bei BR Klassik zu hören
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Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (4. August 2025 um 03:05 Uhr)»Der «Ring» von Richard Wagner spült massive, dennoch fragil anmutende Klanggewitter ins Ohr, durchgestylt und mit Spielraum für Tiefsinn und Rhythmus. Ist das nun typisch weiblich?« Es fiel schwer, nach solchem Anfang diese Rezension noch weiter zu lesen. Was ist ein »durchgestylter« Klang oder ein fragiles Gewitter? Welches klassische Meisterwerk des 19. Jahrhunderts hat keinen Rhythmus? Nein, solches leere Wortgeklingel bei Musikkritikern ist nicht typisch weiblich. »Aber Simone Young (…) dirigiert das vierteilige Werk mit solch femininer, vor Kraft und Vielfalt nur so strotzender Verve, dass der Urpatriarch Wagner nachgerade als Frauenversteher rüberkommt.« Ist diese Art von Logik nun typisch weiblich? Weil Frau Young Wagner gut dirigiert, erscheint Wagner als Frauenversteher. Gilt das dann auch, wenn sie das nächste Mal Tschaikowski mit »femininer Kraft« dirigiert? Könnte es eventuell sein, dass solche Werke fähig sind, alle Menschen unabhängig vom Geschlecht anzusprechen? Man sollte sich einzig auf die Qualität einer Komposition oder einer Darbietung beziehen und zuvor die feminine Brille an der Garderobe abgeben. Von der Qualität der Darbietung des Orchesters etwas zu erwähnen, war überflüssig, da Dirigenten und Sänger Wagneropern allein bewältigen. Praktischer Weise hatte man das Orchester durch Maschinen ersetzt. »Simone Young (…) im «mystischen Abgrund», wie der verdeckt bleibende Orchestergraben genannt wird (…) Als erste weibliche Kraft im Maschinenraum der Melodien zeigt sie, was geht.« Und was geht denn noch so alles in einer schönen Rezension? Ein bisschen ukrainische Propaganda gefällig? Da tauchen »die Lettin Elīna Garanča und die gebürtige Moskowiterin Ekaterina Gubanova« auf. Hätte man jetzt geschrieben »gebürtige Russin« oder »Moskauerin«, hatte es ja gleich wieder dumme Fragen gegeben. Aber wenn jemand aus Moskowien (die in der Ukraine vorgeschlagene Umbenennung Russlands) stammt, darf er sogar in Deutschland auftreten.
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