Risikobranche Abfallwirtschaft
Von Sebastian Edinger
Die Gesundheitsrisiken für Beschäftigte der Abfallwirtschaft haben sich in den vergangenen Jahren enorm verschärft – vor allem durch häufigere Hitzeperioden, aber auch durch Giftstoffe sowie mangelhaften Arbeitsschutz und daraus resultierende Unfälle. Das zeigt eine Untersuchung der britischen Wissenschaftlerin Vera Weghmann von der Public Services International Research Unit (PSIRU) in London. EU-weit sei die Zahl hitzebedingter Todesfälle am Arbeitsplatz seit 2000 um 42 Prozent gestiegen. Keine Berufsgruppe trägt so umfassend dazu bei wie jene der Müllwerker.
Anfang Juli hatte auch der Europäische Gewerkschaftsbund (ETUC) auf die Situation aufmerksam gemacht und darüber berichtet, dass allein in Spanien während der jüngsten Hitzewelle mindestens fünf Beschäftigte der Abfallwirtschaft ums Leben kamen. Der ETUC weist darauf hin, dass sich in den vergangenen Sommerperioden in Griechenland, Italien und Frankreich ähnliche Tragödien zugetragen haben. In ihrem vom Europäischen Gewerkschaftsverband für den öffentlichen Dienst (EPSU) in Auftrag gegebenen Bericht analysiert Weghmann systematisch die Situation der rund 1,6 Millionen in den 27 EU-Mitgliedstaaten und einigen Nachbarländern beschäftigten Müllwerker.
Dokumentiert werden neben hitzebedingten Todesfällen unter anderem tödliche Zwischenfälle wie der Müllgrubenerdrutsch im spanischen Zaldibar 2020 und sich häufende Brände in Mülldeponien. In Großbritannien seien vom zuständigen Branchenverband zuletzt 670 Brände in einem Jahr verzeichnet worden. Ein großer Teil dieser Brände ging demnach auf laxe Entsorgungsvorschriften und falsch entsorgte Lithium-Ionen-Batterien zurück.
»Trotz der bedeutenden Risiken, denen diese Beschäftigten ausgesetzt sind, bleibt ihr Wohlergehen in Politik und Forschung weitgehend unberücksichtigt«, kritisiert Weghmann. Der EPSU argumentiert, die Auslagerung und Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen habe die Arbeitssicherheit zusätzlich geschwächt. Wo Profitmaximierung über allem stehe, werde bei Sicherheitsschulungen, Schutzausrüstungen und so weiter gespart. »Im Gegensatz dazu verzeichnen Städte, die die Abfallentsorgung wieder in öffentliche Hand überführen, weniger Unfälle, besser geschultes Personal und sicherere Arbeitsplätze«, heißt es. Dennoch werde vielerorts, etwa in Dresden, die Privatisierung der Müllentsorgung weiter vorangetrieben.
Um die Gesundheit der Müllwerker besser zu schützen, fordert der EPSU ein Recht auf Arbeitsniederlegung bei Gefahr, einen garantierten Zugang zu Trinkwasser, flexiblere Arbeitszeiten, Schutzkleidung und mehr Pausen. Zudem müsse ein besonderer Fokus auf die Lage in der Recyclingbranche gelegt werden. Dort sind EU-weit rund 400.000 Menschen beschäftigt, viele davon Migranten. Sie arbeiten oft in giftiger Umgebung, ohne ausreichende Schutzmaßnahmen – wie in Glasrecyclinganlagen, Kompostierwerken oder bei der Sortierung von Elektroschrott.
Beim Elektroschrott wird ein großer Teil des Problems dem Bericht zufolge allerdings ausgelagert – durch illegale Exporte. Die in der EU produzierte E-Schrott-Menge wächst rasant und soll 2025 über zwölf Millionen Tonnen erreichen. Doch nur 40 Prozent werden legal recycelt. Der Rest wird in den globalen Süden verschifft, unter dem Deckmantel »gebrauchte Geräte«, meist nach Afrika oder Asien. Dort sind die Arbeitskräfte billig und die Schutzvorschriften schwach oder undurchsetzbar. Laut einer UN-Untersuchung werden sogar bis zu 90 Prozent des weltweiten E-Schrotts illegal gehandelt.
Weghmann beschäftigt sich in ihrer Analyse auch mit der Situation informeller Müllarbeiter wie Pfandflaschensammlern. In zahlreichen europäischen Ländern sind benachteiligte Menschen in den Großstädten unterwegs, weil sie auf das Sammeln als Einkommensquelle angewiesen sind. Sie leisten einen wichtigen Beitrag zur Kreislaufwirtschaft, argumentiert die Wissenschaftlerin, sind jedoch besonderen Gefahren und politischer Ignoranz ausgesetzt. Gefordert wird daher, sie anzuerkennen und in die formelle Ökonomie einzubinden. Zudem brauche es Unterstützung bei der Einrichtung von Kooperativen und einen besseren Zugang zu sozialen Leistungen.
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