Gegründet 1947 Montag, 2. Juni 2025, Nr. 125
Die junge Welt wird von 3011 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 31.05.2025, Seite 4 / Inland
Debatte um Wehrdienst

Wehrpflicht als »Gamechanger«

Armee muss auf 260.000 Soldaten aufwachsen, fordert der Chef des Bundeswehr-Verbandes. Zur Not auch ohne Freiwilligkeit
Von Philip Tassev
4NEU.jpg
Dem »Zauber der Marine« verfallen: Rekruten der Marinetechnikschule Parow beim Fahneneid (Stralsund, 13.3.2025)

Der Vorsitzende des »Deutschen Bundeswehr-Verbandes«, André Wüstner, ruft wieder einmal nach mehr Soldaten. In einem am Freitag veröffentlichten Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland fordert der Chef der einflussreichen Soldatenlobby, »dass die aktive Truppe schrittweise auf bis zu 260.000 Soldaten aufwachsen müsste«. Die genaue Zahl hänge davon ab, was auf dem nächsten NATO-Gipfel, der Ende Juni in Den Haag stattfindet, beschlossen wird. Er gehe aber davon aus, dass »zwischen 40.000 und 60.000 Soldaten zusätzlich« benötigt werden. Aufbauend darauf müsse dann »gleichzeitig eine leistungsfähige Reserve entwickelt werden«, um auf die von Generalinspekteur Carsten Breuer genannte Zahl von insgesamt 460.000 Soldaten zu kommen.

Aber auch Wüstner muss zugeben: Die größte »Herausforderung« der Bundeswehr ist der »personelle Aufwuchs«. Die aktuelle »Zielgröße« der Truppe liegt bei 203.000 Soldaten. Diesem Soll ist die Bundeswehr allerdings, seit das Verteidigungsministerium 2016 die Zahl ausgegeben hatte, keinen Panzergrenadier näher gekommen. Trotz verstärkter Rekrutenwerbung stagniert die Truppenstärke seit gut einem Jahrzehnt bei etwa 180.000 Mann.

Verständlich also, wenn Wüstner sich den »Neuen Wehrdienst ohne ein Pflichtelement nicht vorstellen« kann. Offensichtlich hat er kein allzu großes Vertrauen in die bundeswehreigenen Karriereberater, wenn er das Verteidigungsministerium auffordert, schon jetzt »ein eventuelles Umschalten auf eine Pflicht« vorzubereiten, und das »unabhängig von der Frage, in welcher Zahl sich Freiwillige bis Ende 2026 melden«. Denn der Oberst hat es eilig: Planung, Organisation und Umsetzung einer Wehrpflicht würden 18 bis 20 Monate dauern, »wir« aber könnten es »uns« nicht leisten, »nach einer politischen Entscheidung noch mal 20 Monate dafür ins Land gehen zu lassen«. Vielmehr müsse die Pflicht »wie eine Art Versicherung« vorbereitet werden, »damit wir den Hebel nach einer politischen Entscheidung sofort umlegen können«.

Eine zentrale Aufgabe der neuen Regierung von Friedrich Merz (CDU) sei es dabei, die für die Kriegsvorbereitung nötige gesellschaftliche Akzeptanz zu schaffen: »Wir können weiter in Frieden und Freiheit leben, wenn wir nach dem NATO-Gipfel die richtigen Schritte einleiten und unserer Gesellschaft die Herausforderungen der nächsten Dekade erklären« – und zwar »idealerweise nicht nur durch eine Regierungserklärung, sondern durch eine gesonderte Ansprache des Kanzlers an uns alle«. Merz müsse deutlich machen, »dass wir nicht Krieg führen wollen, aber ein Maximum an Verteidigungsfähigkeit erreichen müssen, um einen Krieg durch Abschreckung zu verhindern«. Selbst ohne US-Streitkräfte sind die NATO-Armeen zwar auch heute schon der russischen in fast allen Bereichen der konventionellen Kriegführung überlegen, aber von Fakten lässt sich jemand wie Wüstner nicht beirren.

Für einen »wirklich effektiven Wehrdienst« rührt auch der Inspekteur der Marine, Jan Christian Kaack, die Werbetrommel. Nur der könne ein »Gamechanger« beim Kampf gegen den chronischen Personalmangel sein. Jeder Wehrdienstleistende sei »ein potentieller Zeitsoldat, wenn wir ein gutes Angebot machen«, gab sich der Admiral in einem am Donnerstag in der FAZ erschienenen Gespräch überzeugt. Er sei sich sicher, dass sich um so mehr junge Leute bei den Seestreitkräften verpflichten werden, je mehr von ihnen »den Zauber der Marine« kennenlernen. Wie Wüstner bemühte auch Kaack mal wieder die NATO-Propaganda vom Jahr 2029 als den Zeitpunkt, an dem die Kriegsertüchtigung abgeschlossen sein müsse, weil dann der Russe so weit sei, die transatlantische Militärallianz »herauszufordern«.

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

Dieser Artikel gehört zu folgenden Dossiers:

Ähnliche:

  • An der Ostflanke: »Eurofighter« des »Richthofen«-Geschwaders und...
    24.10.2024

    Vereint gen Osten

    Deutsch-britisches Militärabkommen: Marineflieger sollen von Schottland aus russische U-Boote aufspüren
  • Gemessen am geplanten finanziellen Aufkommen für Tötungsgerät pa...
    26.06.2024

    Kriegstüchtig werden

    Immer mehr Geld für immer mehr Waffen. Eine Übersicht zu den veranschlagten Kosten der deutschen Aufrüstung
  • Bald auch in Australien zu sehen: Ein »Eurofighter« am Fliegerho...
    19.08.2022

    Kriegsspiele im Pazifik

    Bundeswehr verlegt Teilstreitkraft für Manöver nach Australien. Japan wird Schwerpunktpartner der BRD

Mehr aus: Inland

                                                                   junge Welt stärken: 1.000 Abos jetzt!