Mediziner gegen Labour
Von Dieter Reinisch
Höhere Löhne könne er ihnen nicht anbieten, aber vielleicht ihnen günstigere Mahlzeiten im Dienst ermöglichen, bot der britische Gesundheitsminister Wes Streeting den Assistenzärzten über die Medien bekannt, kurz bevor sie am Freitag morgen ihre Arbeit niederlegten. Zu spät und zuwenig und vielleicht auch gar nicht ernstgemeint war der Vorstoß von Streeting.
Die British Medical Association (BMA) gab sich jedenfalls unbeeindruckt: Mit einem deutlichen Streikmandat ausgerüstet traten die Assistenzärte in ganz England mit Beginn der Frühschicht in einen fünftägigen Ausstand, der bis Mittwoch andauern soll. Sie fordern ein kräftiges Lohnplus, das den Reallohnverlust, der seit 2008 entstanden ist, ausgleichen soll. Doch Streeting und die Labour-Regierung wollen, wie bereits die konservative Vorgängerregierung, von Reallohnerhöhungen nichts wissen und greifen statt dessen die Ärztegewerkschaft BMA öffentlich an.
Im Streikaufruf, der auf der BMA-Homepage veröffentlicht wurde, heißt es: »Wir bitten alle Assistenzärzte, keine Schicht anzutreten, die nach 6.59 Uhr am Freitag, dem 25. Juli, beginnt oder vor 6.59 Uhr am Mittwoch, dem 30. Juli.« Die beiden Kovorsitzenden der BMA, Melissa Ryan und Ross Nieuwoudt erklärten gegenüber Doctor Magazine nach der Bekanntgabe der Streiktage, dass Ärzte in England trotz der Gehaltsanpassungen der letzten Jahre immer noch weniger Reallohn erhielten als 2008: Die Ärzte haben sich klar und deutlich geäußert: Sie werden nicht akzeptieren, dass sie weniger wert sind als damals.
Der Reallohn im Gesundheitswesen NHS ist seit 2008 stetig gefallen, besonders stark aber seit den Jahren der Pandemie und der darauffolgenden Teuerungskrise in Großbritannien, die die Inflation teilweise auf 15 Prozent trieb. Nicht nur BMA, auch andere NHS-Gruppen und Gewerkschaften traten ab 2022 in Arbeitskämpfe ein. Auch heute liegt das Lohnniveau laut dem nationalen Statistikamt immer noch 23 Prozent unter dem vor 17 Jahren. Das Angebot der Regierung würde es auch 2026 nur marginal verbessern – auf ein Minus von 21 Prozent gegenüber 2008. Das ist den mittlerweile streikerfahrenen Assistenzärzten zuwenig: Elf mehrtägige bis teilweise wochenlange Arbeitsniederlegungen hatte es in England gegeben, bis sich BMA mit der Labour-Regierung im September 2024 auf einen Lohnabschluss einigen konnte: »Doch die Einigung mit der Regierung war nur der erste Schritt«, gab BMA in einer Aussendung Mitte Juli 2025 bekannt.
Wie andere Gewerkschaften hatte BMA Hoffnungen auf Labour gesetzt, dass endlich Schluss wäre mit den Arbeitskämpfen, die jahrelang gegen die konservative Regierung geführt wurden und zu der größten Streikwelle des Landes seit den 1980er Jahren führten – doch bislang wurden sie enttäuscht. Statt auf die Forderungen einzugehen, greift Streeting die BMA an. In einem am Freitag veröffentlichten Kommentar in der Tageszeitung The Guardian wirft er BMA vor, die Vereinigung untergrabe »die gesamte Gewerkschaftsbewegung«, indem sie ihren Streik fortsetzt. Er schrieb: »Keine Gewerkschaft in der britischen Geschichte hat erreicht, dass ihre Mitglieder eine so hohe Gehaltserhöhung erhalten haben, nur um sofort mit Streiks zu reagieren.«
Wie dramatisch die Lage für die Regierung ist, zeigt, dass sich selbst der Premierminister in den Disput einschaltete: In einem Artikel in der Tageszeitung The Times forderte Keir Starmer am Donnerstag die Assistenzärzte auf, ihrer Gewerkschaft nicht auf den »schädlichen Weg« eines Streiks zu folgen. Der Labour-Chef verlangte von ihnen Streikbruch und Austritt aus der Gewerkschaft. Es besteht die Gefahr, dass sich die Kämpfe abermals auf das ganze NHS ausweiten: Die Pflegegewerkschaft RCN und die Gewerkschaft Unison lassen bereits über Streiks abstimmen. Das plant nun auch die Gewerkschaft GMB: Sie will die Mitglieder beim Sicherheits- und Reinigungspersonal in Spitälern über Kampfmaßnahmen befragen.
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