Nicht alles top in Hill Topp
Von Peter Köhler
Frei nach Oscar Wilde gibt es nur eines, das noch schlechter ist, als alt zu sein: nicht alt zu werden. Aus diesem Blickwinkel betrachtet, haben es die Bewohner des Altenheims Hill Topp gut getroffen, um so mehr, als es sich mitnichten um ein solches handelt, sondern um eine »Seniorenresidenz«, also ein Haus für Betuchte. Selbstverständlich kriegen die Insassen, ach was: die Pensionäre für ihr Geld eine Menge geboten: »Wir haben einen Chor, und zu besonderen Anlässen gibt es ein Glas trockenen Sherry«, erläutert die Chefin Mrs McBryde einer Bewerberin die bewunderungswürdigen Leistungen ihres Hauses: »Wir machen regelmäßig gemeinsame Ausflüge. Erst letzte Woche waren wir auf einem Bauernhof in der Nähe, wo sie einen Flamingo haben.« – »Nur einen einzigen?«, platzt es aus Mrs Foss, der Aspirantin, und statt einer Antwort wird ihr die viel schönere Auskunft zuteil: »Vor gar nicht langer Zeit hatten wir einen norwegischen Abend.« Das sitzt, und wenig später, denn etwas Fluktuation ist in einer solchen Einrichtung immer, zieht die Neue ein ins Altenstift »Topp Hill«.
Mit dem falschen Doppel-P deutet Alan Bennett (der passenderweise dieses Buch im fortgeschrittenen Alter von 88 Lenzen geschrieben hat) an, dass das Domizil nicht wirklich spitze ist. Nicht nur das Personal, auch die alten Leutchen haben ihre Defizite, oder sympathischer: ihren Spleen. Mr Peckover zum Beispiel klaubt weggeworfenes Zeugs auf und verleibt seiner Sammlung einen Messingaschenbecher als »mittelalterlichen Opferteller« ein – ein Nonsens, der deshalb bald Mrs Foss ansteckt. Fortan hortet auch sie »Sammlerstücke«, die draußen achtlos unter die Rubriken Schrott, Müll, Pofel eingeordnet würden.
Aber wen kümmert’s, was draußen in der Welt geschieht? Das wird mit Kopfschütteln abgetan. Besser spricht man von sich oder einfach von früher – nur wie, wenn die eine nach einem verlorengegangenen Puzzleteil fragt und die andere antwortet, vergessen zu haben, wie Prince Charles aussieht: »Auch das war etwas, was ständig verlorenging: der Gesprächsfaden«, knüpft Altmeister Bennett den Erzählstrang in »See you later« geschickt wieder zusammen.
Das englische Original erschien 2022, als Großbritannien von der Coronapandemie wegen des unfähigen Boris Johnson besonders heftig gebeutelt wurde. Vielleicht gaben diese Zeitumstände dem womöglich anders geplanten Buch einen neuen Drall: Statt genüsslich das verrückte Treiben der Oldies auszuwalzen, vielleicht auch – man muss als Rezensent ausnahmsweise einen Wunsch äußern – das im Tal gelegene Altersheim namens »Low Moor«, in dem die armen Schlucker, die Sozialfälle, abgestellt werden, in die Erzählung einzubinden und so den Kontrast zum auf dem Hügel thronenden Stift auszukosten.
Statt dessen lässt Bennett in Hill Topp einen nach dem anderen an Covid sterben, und weil damit erst 60 Seiten geschafft sind, füllt er weitere 40 mit seinem persönlichen Coronatagebuch. Das allerdings hat mit der Erzählung nur oberflächlich zu tun, etwas genauer gesagt: nichts.
Im Gegenteil, als untergründiges Thema des Buchs schimmert doch, den Ernst des Lebens ins Komische der Kunst gewendet, der Umgang der Gesellschaft mit den Alten durch. Sie sind für Produktion und Reproduktion nicht mehr nütze, ihre Unterbringung und Versorgung aber müssen sich rentieren, zugleich wirft ihr altersbedingter Verschleiß die Frage nach kostspieliger Reparatur oder preiswerter Abschaffung auf – die Lösung, die im obgenannten erzkapitalistischen Großbritannien die Regierung der Konservativen parat hatte, ist bekannt.
»Die Welt war besser dran mit weniger Menschen«, kommentiert Bennett sarkastisch: »Das war das Heilmittel der Natur.« Sowie eben das des Kapitalismus. Kein Heilmittel, aber ein Palliativ ist Komik. Die hätte Bennett sogar höher dosieren können.
Alan Bennett: See you later. Aus dem Englischen von Ingo Herzke. Wagenbach-Verlag, Berlin 2025, 112 Seiten, 20 Euro
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Christel H. aus Aschersleben (14. August 2025 um 13:08 Uhr)Von Alan Bennett auch zu empfehlen »Cosi fan tutte«, köstlicher englischer Humor. Meiner Erinnerung nach hier in der jungen Welt rezensiert.
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