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Aus: Ausgabe vom 23.07.2025, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Frankreich

Proteste im Atomstaat

Aktivisten demonstrieren gegen den Ausbau des französischen Kernenergiesektors
Von Luc Śkaille, Bure
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Atomkraftwerk in Cattenom, Frankreich

Die von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ausgerufene »Renaissance« des Atomsektors steht einer Bewegung entgegen, die aktuell mit einem Camp bei La Hague und im Widerstand gegen das geplante Atommüllendlager in Bure aufbegehrt. Unter strengen Vorkehrungen kamen am vergangenen Wochenende Hunderte Atomkraftgegner an Europas größter Plutoniumfabrik im westfranzösischen Cotentin zusammen. Am Sonnabend demonstrierten rund 1.000 Menschen bei Vauville, um neue Projekte des Atomriesen Orano und der nationalen Energiebehörde EDF zu kritisieren.

Die Protestierenden gaben sich kämpferisch: »Es gibt genug Gründe, gegen die Atomindustrie zu protestieren«, sagte Aktivist Geoffrey Alberti aus La Hague gegenüber jW. »Radioaktivität ist grenzenlos und betrifft weltweit kolonisierte Territorien und Bevölkerungen. Überhitzte Gewässer machen AKW zu Flatterenergiequellen.« Außerdem sei Atomstrom kostenintensiv und im Kriegsfall ein Risiko. Bei Bure sei im Spätsommer eine noch größere Mobilisierung zu erwarten, »da der Atomstaat die zahllosen Probleme verneint und die Demokratie seit Jahrzehnten mit Füßen tritt«, so Alberti.

In Frankreich steht die Antiatombewegung mächtigen Interessen gegenüber. Die Lobbyoffensive von EU-Kommissar Thierry Breton, in deren Folge Atomkraft seit 2023 als »grüne Investition« gekennzeichnet wurde, belegt Frankreichs Absicht, den ungebremsten Ausbau der Hochrisikotechnologie voranzutreiben. Auch die Fusion der Atomaufsichtsbehörden ASN und IRSN, die Renationalisierung der EDF und die Ankündigung des Baus von 14 neuen Reaktoren sprechen eine deutliche Sprache: Frankreich verteidigt seine Führungsposition und investiert in nukleare Energieträger. Doch auch Widersprüche werden deutlich. Kostenexplosionen und überwältigende Verzögerungen sind bei sämtlichen Atomprojekten die Regel.

Mit dem erzwungenen Rückzug aus den Exkolonien muss Frankreich sein Atombusiness zunehmend nach Asien verlagern, um Uranimporte aus Australien und Kanada zu ergänzen. Verträge mit der Mongolei stehen im Raum, und dem Schein zum Trotz floriert die Partnerschaft mit Russland. Der Bereich blieb bisher gänzlich von Sanktionen ausgenommen. Seit Jahren dokumentieren Umweltschützer Importe von russischem und kasachischem Uran ins französische Dunkerque und zur Brennelementefabrik in Lingen, dem wachsenden Joint Venture der Atomunternehmen Rosatom und Framatome auf deutschem Boden.

Bei Bure im lothringischen Hinterland will Frankreich die größte Atommülldeponie Europas errichten. Hier zeichnet sich eine Zuspitzung eines Widerstands ab, der durch eine lange Waldbesetzung und ein nach Jahren eingestelltes Verfahren wegen der Bildung einer »kriminellen Vereinigung« bekannt wurde. Obwohl die 2024 begonnenen Enteignungsverfahren von rund 550 Grundstücken weitgehend abgeschlossen sind, hält die Gegenwehr besonders am ehemaligen Bahnhof von Luméville an. »La Gare« – der Bahnhof – ist einer der letzten Orte der Projektgegner, die sich direkt auf der geplanten Castortrasse befinden. Es scheint klar, dass der Atomstaat nicht vor dem bisher legalen Hüttendorf haltmachen wird. Eine Besetzung zeichnet sich ab.

In den kommenden Wochen soll ein großes internationales Protestcamp »La Gare« verstärken. »Wir werden eine Räumung des Bahnhofs nicht widerstandslos hinnehmen«, erklärte der Aktivist Gill (Name geändert) gegenüber jW. »Am 20. September wird es eine kämpferische Demo der Zukunft geben.« Die Mobilisierung in Bure wird nicht nur vom harten Kern der Bewegung aus Bürgerinitiativen und Autonomen, sondern auch von überregionalen Akteuren getragen. Den Bündnisaufruf unterstützen Organisationen wie ATTAC, die Gewerkschaften, die Parteien La France insoumise und Les écologistes sowie Umweltorganisationen wie Friends of the Earth und Greenpeace.

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