Wir sehen uns an der Spitze
Von Vincent Sauer
Der Fortschritt des Warenfetischs als Massenidiotie – vor allem die Mittelschicht ist betroffen – führte vor einigen Jahren zu sogenannten Unboxing-Videos. Es handelt sich dabei um das Phänomen, bei dem freudige Konsumentinnen und Konsumenten die Kamera laufen lassen, wenn sie endlich ihren teuer erstandenen Schatz im trauten Heim auspacken können. Dann freuen sie sich wie verrückt, wenn unter der verklebten Pappe in der schicken Schachtel die Ware ihrer Wahl zum Vorschein kommt. Die prekären Arbeitsbedingungen in der Logistik, die Plackerei der Hermes-Boten und DHL-Fahrer dürfen das Glück nicht trüben, schließlich macht man sich ja mit dem Kauf völlig zu Recht endlich mal wieder selber ein Geschenk.
»Wedding Gift«, also auf deutsch »Hochzeitsgeschenk«, nennt der Künstler Christian Jankowski seine aktuelle Ausstellung in der Berliner Galerie Contemporary Fine Arts, unweit der Edelkonsummeile Kurfürstendamm. Eröffnet hat er sie kurz vor seiner Hochzeit mit Cristina Vasilescu, gleichfalls Künstlerin. Jankowski bietet dem Besucher in erster Linie Verpackung: geschlossene Boxen, an Wänden hängend, in den Raum ragend, eher kleine, handliche. Es gibt aber auch mehr als mannshohe Holzplatten, unter denen Arbeiter begraben werden könnten – wir wissen ja, dass Aufkleber die »Fragilität« der Ware kenntlich machen, die Zerbrechlichkeit des menschlichen Körpers beim Schleppen für die Logistikunternehmen aber keine Rolle spielt. Auf einigen Kisten ist noch vermerkt, was mal drin war, etwa Mikrofone oder Fotos, welchem Werk sie zugehörig sind, von wann das unsichtbare Werk ist, welche Nummer die Kiste hat.
Jankowski wurde in erster Linie als Performancekünstler bekannt. Der heute eine Professur in Stuttgart bekleidende Göttinger des Jahrgangs 1968 hat in Supermärkten Joghurts mit Pfeil und Bogen erlegt, sich in einem Phantasieitalienisch Fragen stellend von TV-Wahrsagerinnen seine Karriere prophezeien lassen und einen Redenschreiberwettbewerb veranstaltet zum Thema, wer die beste Laudatio auf einen Kunstpreisträger halten kann. Es geht ihm also um Konsum- und Kunstbetriebskritik – allerdings mit Witz. Ausstellungen im Metropolitan Museum in New York und in der Tate London zeigen, dass man mit dieser Kritik auch Geld machen kann.
Auf seine Kisten und Holzplatten hat er allerlei Buchtitel von und Sätze aus Ratgeberliteratur drucken lassen, die für Menschen geschrieben wird, die um jeden Preis erfolgreich sein wollen, über so viel Macht und Geld verfügen wollen, wie es nur geht. »How to get on with anyone« (»Wie man mit jedem klarkommt«). Ein Pfeil nach rechts oben verspricht: »See you at the top.« (»Wir sehen uns an der Spitze.«) Auf einer anderen Kiste steht »Secrets of Closing the Sale«, die Geheimnisse also, wie man einen Verkauf abschließt. Der große Phrasenleerlauf verkleidet die schnöden Kisten, Boxen, Bretter mit der Ideologie des sicheren Erfolgs, wenn man nur brav an sich selber arbeitet und glaubt. Die Inhalte dessen, was man hier sieht, dienten schon einmal dazu, Geld zu machen, und werden nun ein weiteres Mal verwertet. Mit der Sprache des Geldes sind die »Objekte« bereits versehen worden. Selbstverständlich handelt es sich bei ihnen allesamt um Unikate, sagt die Liste in der Galerie. Ergänzt werden sie übrigens durch zwei »Luftschlösser«-Lichtinstallationen, die auf Kritzeleien von Arbeitern beruhen, die Jankowski in der Mittagspause ihr Traumschloss aufzeichnen. Wonach sie wieder auf den Bau müssen, um große Vorhaben reicher Leute zu realisieren.
Die reichen Kunstsammler verantworten, das ist allgemein bekannt, dass Tausende sehenswerte Werke in Kisten bleiben, die in irgendwelchen Freihäfen gelagert sind, wo sie auf den Weiterverkauf warten, wo ihr Wert steigt oder fällt. Listen werden geführt, Werke nummeriert. Zahlenkolonnen. Der Autor Stefan Heidenreich hat sich in seinem Pamphlet »Attraktion und Mitmacht« unter anderem den Strukturen des Kunstmarkts gewidmet, der einen »Kult des Exklusiven« betreibt. Die künstlerische Kritik am Kunstbetrieb wiederum ist alles andere als neu: Der Franzose Daniel Buren hat seit den 1960ern den Institutionen den Spiegel vorgehalten und die vernachlässigten Rahmenbedingungen des ganzen Spektakels aufgezeigt.
Jankowskis »Geschenk« besteht nicht nur in den Logistikexponaten. Die Kritik am Warenwahn und den Verwertungsketten ist schön und gut, man kommt auf Gedanken. So wirklich weh tut sie aber nicht, denn es geht um Verpackungen mit dummen Sprüchen. Dass die Logistik eine der wichtigsten Wissenschaften des Kapitalismus ist, ihn am Laufen hält, im Sklavenhandel »weiterentwickelt« wurde – diese Geschichte hinter den Kisten bleibt bei Jankowski stumm.
Christian Jankowski: »Wedding Gift«. Contemporary Fine Arts, Grolmannstraße 32/33 Berlin, bis 30. August
75 für 75
Mit der Tageszeitung junge Welt täglich bestens mit marxistisch orientierter Lektüre ausgerüstet – für die Liegewiese im Stadtbad oder den Besuch im Eiscafé um die Ecke. Unser sommerliches Angebot für Sie: 75 Ausgaben der Tageszeitung junge Welt für 75 Euro.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Regio:
Mehr aus: Feuilleton
-
Sehnsucht nach neuem Glanz: Meister Proper
vom 21.07.2025 -
Verdammte Sippe
vom 21.07.2025 -
Nachschlag: Echt gefakt
vom 21.07.2025 -
Vorschlag
vom 21.07.2025 -
Veranstaltungen
vom 21.07.2025 -
»Wir bleiben wütend«
vom 21.07.2025