»Wir bleiben wütend«
Von Gerhard Hanloser
Sie haben 1980 die Punkband Subhumans gegründet. Wie war das damals?
Als Punkrock aufkam, waren wir ungefähr 16. Wir lebten in der englischen Grafschaft Wiltshire, es war nicht viel los. Aber in der Stadt Trowbridge sollten die legendären Angelic Upstarts spielen. Wow, das passierte sonst nie! Dort traf ich dann unter anderem Bruce Treasure, der in einer Band namens The Stupid Humans spielte. Wir lösten unsere Bands auf, und ich schloss mich mit Bruce und Grant am Bass sowie Andy, der Schlagzeuger der Stupid Human war, zusammen: Wir gründeten die Subhumans.
Gab es Einflüsse anderer Bands?
Bruce, unser Gitarrist, war ein großer Fan von Frank Zappa und King Crimson. Ich mag Black Sabbath, Chuck Morris. Sicherlich gab es einen Einfluss vom Prog-Rock oder Rock, der komplizierter war als Punk, auch Mainstream. Wobei: Trotsky, der immer noch Schlagzeuger der Subhumans ist und ein Jahr nach der Gründung Andy ersetzte, war im Grunde ein AC/DC-, Van-Halen-, Black-Sabbath-Metal-Fan. Wegen des Schlagzeugspiels. Außerdem hatte er lange Haare und so weiter. Das verwirrte die Leute sehr. Textlich kamen Einflüsse von David Bowies ziemlich surrealen Lyrics. Abgesehen davon, gab es den Song »Bored Teenagers« von den Adverts. Stimmt, das bin ja ich, dachte ich: ein gelangweilter Teenager. Punkrock sagte einfach viel mehr darüber aus, was mir im Alltag begegnete. Mehr als alles davor. Die Texte des klassischen Rocks waren ziemlich abstrakt oder todlangweilig, einfach nicht interessant genug.
Es gibt diese Bezeichnungen »Anarchopunk«, vor allem für die Band Crass. Passt das auch für Sie?

Wir haben uns nie als etwas anderes als eine Punkband bezeichnet. Die Leute brachten uns mit Crass in Verbindung, vielleicht weil wir mit der Anarchocombo Flux of Pink Indians auf demselben Label waren. Wir arbeiteten zusammen mit Southern Studios, die auch die Crass-Musik produzierten und vertrieben. Aber, hey, Anarchisten? Wir fuhren immer noch in Autos herum, glotzten TV und aßen diesen schrecklichen Fastfoodmüll. Damals waren wir keine Vegetarier. Hey, ich trug immer meine Lederjacke!
Also um ehrlich zu sein, wussten wir nicht wirklich, woran wir glaubten. Wir wussten nur, dass einige Dinge falsch liefen. Aber das gründete nicht auf einem Glaubenssystem. Crass waren so verdammt ernsthaft! Und konsequent! Wir dachten, diese Höhen der Ernsthaftigkeit erklimmen wir nie, dieses Verständnis, worum es bei Anarchie geht. Also sind wir nie herumgelaufen und haben gesagt: Wir sind eine anarchistische Punkband. Aber wir wurden in die Anarchopunkkategorie gesteckt. Das hat mich nicht gestört, weil ich alle anderen Anarchopunkbands mochte. Sie hatten etwas zu sagen. Also wurden Bands, die etwas zu sagen hatten, ganz einfach als Anarchopunkbands abgestempelt. Von mir aus.
Aber Etiketten mag ich eigentlich gar nicht, sie werden von Rockjournalisten wie Gary Bushell von der Musikzeitung Sounds aufgeklebt. Da soll es also Crass-Bands oder Oi-Bands geben – Etiketten, die nur die Szene spalten. Plötzlich wurde dir gesagt, dass du dich darum kümmern musst, ob dir diese Art von Band gefällt oder jene. So what? Man kann die Toy Dolls und Crass auch gleichermaßen mögen, oder?
Trotzdem sind die Texte Ihrer Bands, ob Subhumans oder Culture Shock und Citizen Fish, sehr politisch.
Klar, da geht es um Umweltprobleme, Hierarchien und Dominanz, den Kapitalismus, die Probleme der Arbeiterklasse. Wir sind definitiv links. Ziemlich weit links. Jemand hat mal gemeint, dass wir eine sozialistische Band sein könnten. Musste ich nachschlagen. Klingt ungefähr richtig. Das, was die Gesellschaft produziert, wird gleich aufgeteilt. Jeder soll etwas zu essen und ein Dach über dem Kopf haben und ein gewisses Maß an Glück obendrauf wäre auch schön. Aber ich halte es damit so wie mit dem »Anarchisten«-Label: Ich werde mich nicht als Sozialist bezeichnen, denn vielleicht kommen dann Leute auf den Gedanken zu sagen: »Hey, du hast dies getan oder du kaufst das oder du denkst dies und jenes, und das ist keine sozialistische Denkweise.« Auch hier geht es um Einordnung. Ich singe über verschiedene Dinge wie Konsum, die Fleischindustrie, Krieg, Fernsehen, Informationen, die Art und Weise, wie Menschen beeinflusst werden. Schau dir die mediale Kampagne für Vegetarismus an. Jeder gottverdammte Supermarkt hat mittlerweile seine Veggieabteilung. Das ist ja mal ein Fortschritt, neben dem ganzen Scheiß, der sich nachhaltig verschlechtert.

Wie haben Sie und die Band Covid-Krise und Lockdowns wahrgenommen? Es gab da in der Punkszene ja einige Verwerfungen.
Ja, es war der Echtzeitbeweis dafür, dass die Leute, wenn sie ein gewisses Maß Angst haben, dazu neigen, dem Mainstream zu folgen. Also trugen viele auch in absurden Situationen Masken, weil niemand wirklich wusste, was diese Krankheit bedeutet und wie viele Menschen daran sterben würden. Wir waren nicht auf der Seite der Leute, die sagten, dass das alles ein Scherz ist, eine vorsätzliche Inszenierung. So weit sind wir nicht gegangen, denn wir kannten Menschen, die Covid bekamen, schwer erkrankten, sogar daran starben. Es war also kein Scherz. Die Krankheit ist real. Sicher, diese schrecklichen Masken – waren sie nötig oder nicht? Wir kamen Ende November in der Hochphase der Pandemie rüber nach Deutschland, und in Norddeutschland mussten die Leute keine Masken tragen, aber zuerst einen Covid-Test machen. Wenn du den Test bestehst, kommst du rein. Ist das Punkrock? Bei der Show in Stuttgart, auf derselben Tournee, hatten alle in der Menge Masken auf. Einfach bizarr. Und es war natürlich ein herber Schlag für uns Musiker, wir konnten 18 Monate kaum spielen. Der Alltag war hart, während ja noch alles lief – die Produktion, der Konsum und so –, wurdest du von der verdammten Polizei belästigt, wenn du zu zweit auf der Parkbank saßt.
Zurück zur Musik: Welches Ihrer Projekt war für Sie das wichtigste? Die Subhumans, die Reggaeband Culture Shock oder die experimentelle Hardcoreband Citizen Fish?
Alle gleich wichtig als Fortsetzung des Musikmachens, um in einer Band zu sein. Wir mixten im Januar 1986 unser letztes Album »29:29 Split Vision«, im selben Monat wurde Culture Shock gegründet. Wir hatten einen Kerl namens Paul aus Cornwall, der einen Haufen interessanter Basslines parat hatte, die auf Reggaerhythmen basierten. Drei von uns kamen aus der Punkszene und spielten also zu Ska- und Reggaebaselines und -beats, die wir vorher nie ernsthaft ausprobiert hatten. Das war ein echter Augenöffner. Die Skabeats und Offbeats boten mir als Sänger mehr Raum zum Singen, Ausdrucksmöglichkeiten und Tanzbarkeit nahmen zu.
Wo stehen Sie heute, verglichen mit der Anfangszeit der Subhumans?
Heutzutage ist das Zeug, über das wir immer gesungen haben – über so etwas wie Trump und den Aufstieg des Faschismus – täglich in den Nachrichten. Früher haben wir für eine kleine Community gesungen, dass alles für den Arsch, alles »fucked up« ist, die Gesellschaft, die zerstörte Natur – das weiß jetzt jeder. Natürlich kann einen das auch pessimistisch machen. Ich war schon immer Pessimist. Politiker lügen mittlerweile systematisch, ohne dafür belangt zu werden. Als Punks sangen wir immer »they are liars« und setzten auf Empörung. Nun gibt es »alternative Fakten«, oder es ändert sich einfach der Gehalt der »Wahrheit«. Das ist die neue Normalität. Aber wir bleiben bei dem, was wir immer gemacht haben: Wir bleiben wütend und bilden Gemeinschaftsstrukturen und Freundschaftsnetze des Widerstands gegen das eine Prozent der Mächtigen.
Dick Lucas, Jahrgang 1961, ist Gründungsmitglied und Frontmann der englischen Punkband Subhumans.
Für unsere reisefreudigen Leser: Nach ihrer Europa-Tour spielen die Subhumans im Herbst in den westlichen USA, u. a. hier: 25.10., San Francisco, Great American Music Hall; 26.10., Fresno, Strummer’s; 29.10., San Pedro, CA – The Whale Room at the Sardine; 30.10., San Diego, Corazón del Barrio; 5.11., Portland, Star Theater; 7.11., Seattle, The Vera Project
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