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Aus: Ausgabe vom 17.07.2025, Seite 10 / Feuilleton
Essayistik

Aus dem Abseits

Abschließendes zu Wolfgang Pohrt? Ein neuer Band mit alten Texten zum dran Abarbeiten
Von Gerhard Hanloser
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Ach, Sie suchen Streit? Wolfgang Pohrt

Sicherlich: Man muss über Wolfgang Pohrts Texte lachen. Doch warum lacht man, wenn der heute fast schon vergessene Polemiker den Westberliner Häuserkampf der »Instandbesetzer« als »Aufstand der Heinzelmännchen, eine Mischung aus freiwilligem Arbeitsdienst und Rebellion« bezeichnet? Wenn er die RAF als »ruinöse Fiktion« und den Feminismus als »Gemeinschaftsideologie vereinsamter, isolierter Massenmenschen, die einander nicht mögen« verkennt?

Das Lachen drückt gleichermaßen Nähe und Distanz aus. Nähe zum Objekt der Polemik, schließlich kennt man es, erwartet mehr von ihm und durchschaut seine Beschränktheit. Wer mit Pohrt lacht, ist also ein desillusionierter Linker. Man will immer noch alles abschaffen und abräumen – und die vermeintlichen Genossen schrauben in besetzten Häusern an Spülmaschinen herum, so dass man in ihrer Gschaftlhuberei die der Hausbesitzer von morgen erkennen muss. Distanz schafft die Polemik zugleich nicht nur in bezug auf das konkrete Objekt, sondern auch zu dessen Idealen. Selbst der politische Gegner kann mit Pohrt seine antilinken Ressentiments pflegen.

Der war ein linker Nestbeschmutzer, schließlich brachte die aus heutiger Sicht damals unvorstellbar linke Taz lange Jahre seine Aufsätze. Etwa »Volkssturm oder Emanzipationsbewegung«, den Die Zeit 1983 zwar bestellt hatte, aber nicht drucken wollte. Man liest ihn nun wieder in einem umfangreichen Auswahlband, den sein langjähriger Verleger Klaus Bittermann zusammengestellt hat. Pohrt spießte hier den Nationalismus eines Teils der Friedensbewegung auf, der den Protest gegen die Stationierung neuer Mittelstreckenraketen zum »Überlebenskampf eines Volkes gegen die ihm zugedachte physische Vernichtung« stilisierte – worin er ein wiederkehrendes Motiv der deutschen Rechten erblickte.

Pohrt polemisierte gegen ein alternatives Milieu, dem er Wehleidigkeit, Kitsch und Verdrängung vorwarf. Dabei ging es ihm lange noch um eine Profilierung radikal linker Politik. Zuweilen auch gegen die damals traditionskommunistisch geprägte Konkret. Herausgeber Hermann L. Gremliza und Kolumnist Hermann Peter Piwitt warf Pohrt deutsch-nationalen Antiamerikanismus vor, so in dem 1981 publizierten Text »Ein Volk, ein Reich, ein Frieden«. Der Friedensbewegung bescheinigte er – da sie »keine Parteien und Klassen mehr« kenne, »sondern nur noch Deutsche« –, dass sie »nur einen Teilerfolg erringen« könne: »die endgültige Niederlage der Linken«.

Darin klang noch die linksradikale Kritik an den Ostermarschierern mit, die in den 1960ern wegen ihres bürgerlichen oder christlichen Pazifismus als zu reformistisch attackiert wurden. Die Idee der Ostermärsche kam jedoch aus England und wurde von der Quäkerin Helga Stolle und ihrem späteren Mann Konrad Tempel 1960 nach Norddeutschland gebracht. Der Pazifismus kam von außen ins militarisierte postfaschistische Westdeutschland. Pohrt aber wollte die Oster- und Friedensbewegung in Deutschland »Passionsspiele« aufführen sehen, die »mit der unwiderstehlichen Suggestivkraft des Genres die letzten Kriegsjahre noch mal erlebte und erlittene Realität werden lassen«. Schon früh lieferte er damit das Stichwort von der Friedensbewegung als »deutsch-nationaler Erweckungsbewegung«, das es 1981 bis in Die Zeit schaffte.

Um 1991 schlug Pohrt in Konkret noch extremistischere Töne an: In den weißen Bettüchern, die Friedensbewegte wegen des Golfkriegs 1991 aus den Fenstern hängten, sah er Zeichen des »Ressentiments von Leuten«, »die es dem Weltpolizisten USA verübeln, daß er ihren Eltern per Krieg das friedliche Massenmorden in Auschwitz ausgetrieben« habe. Je weiter links einer stehe, »ein desto engagierterer Nazi ist er nun, alle politischen Gliederungen sind erhalten geblieben, haben aber das Vorzeichen gewechselt, man braucht keine Phantasie mehr, um sich die Antiimpis oder die Autonomen als Volkssturmabteilungen der Hitlerjugend oder als Verbände der Aktion Werwolf vorzustellen«.

Um den ganzen Pohrt zu kennen, hätte dieser Text mit dem Titel »Musik in meinen Ohren« vom März 1991 in die Sammlung aufgenommen werden müssen. Denn mit solchen Tönen wurde Pohrt zum Bezugspunkt der sich formierenden antideutschen Szene. Diese heute in der Konsequenz neuen Rechten, die ihr Superdeutschtum kaschieren, mussten ausblenden, dass Pohrt während der 1980er keineswegs ein Palästinenserhasser war und man bei ihm lesen konnte, dass der Antisemitismus, weil er stets mit den Mächtigen ist, dem mächtigen Staat Israel nicht schaden könne (»Der Täter als Bewährungshelfer«, 1982).

Heute, da einige ehemalige »Antideutsche« Antisemitismusbeauftragte oder Welt-Autoren sind und jeden Holocaustvergleich, der nicht der westlich-deutschen Staatsräson dient, kriminalisieren, müssten sie bei der erneuten Pohrt-Lektüre stutzig werden: »Weder als ungewisse, bedrohliche Möglichkeit für alle noch als Realität für die Verfolgten in Chile, Argentinien und anderen Staaten, zu denen die BRD gute Beziehungen unterhält, hat das KZ aufgehört zu existieren.« Pohrt versuchte in den späten 1970ern und frühen 1980ern, den Impetus des theoriegeleiteten SDS-Antiimperialismus zu bewahren und attackierte deshalb dessen Verflachung zu Antiamerikanismus und moralinsaurer Sentimentalität. Völlig schnappte er erst Anfang der 1990er über.

Pohrt suchte das Abseits als sicheren Ort, jenseits der Faschogesellschaft. Das machen die in die neue Sammlung aufgenommenen, lesenswerten »Überlegungen zur Aktualität von KZ-Erfahrungen« von 1979 deutlich. Aber als Kleinbürger ohne Verbindung zu praktischen Kämpfen konnte er keinen sicheren Ort für sein Urteil finden, weder in der KPD noch in der APO, sondern nur im »Ich«. Seine »Verhaltenslehre der Kälte« (Lethen) voller zynischer Distanzierungstechniken konnte, weil sie gegen linke Kollektiv- und Gemeinschaftsvorstellungen gerichtet war, anschlussfähig werden für prokapitalistische Ideologien.

Am Lebensende wollte sich Pohrt das »Abseitige« noch bewahren – und stieß seine Bewunderer vor den Kopf. Seine bellizistische Golfkriegsposition nannte er ab den Nullerjahren einen politischen Fehler. Doch sein Zynismus verlor jeden Biss. Pohrt wurde positionslos. »Alle Wege führen zum Kapitalismus«, heißt ein Text von 2011. Er diagnostizierte nur noch »Bandenherrschaft« und »verallgemeinerten Bürgerkrieg«. Aber Pohrt blieb auf Distanz zur Regierung, der er attestierte, nun »antideutsch« geworden zu sein: mit proisraelischer Staatsräson und haltlosen Antisemitismusvorwürfen. Er ging auf Distanz zu seiner eigenen Masche, als die politische Klasse, vorneweg die Medien, gewissermaßen »pohrtianisch« geworden war – also die traditionelle Linke mit Antiamerikanismus- und Antisemitismusvorwürfen überhäufte. Der Mainstream sucht freilich nicht das Abseits, sondern beschwört die neue national-liberale Aufrüstungsgemeinschaft. Dafür muss jede pazifistische oder antimilitaristische Bekundung, die bei der Formierung stört, maximal denunziert werden. Pohrt auf dem Niveau des Vorherrschenden – das klingt dann wie Ulf Poschardt.

Wolfgang Pohrt: Wahn, Ideologie und Realitätsverlust. Metamorphosen des deutschen Massenbewusstseins. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Klaus Bittermann. Edition Tiamat, Berlin 2025, 512 Seiten, 26 Euro

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