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Aus: Ausgabe vom 17.07.2025, Seite 11 / Feuilleton
Kino

Krabbe am Hodensack

Sympathisch verkorkst: Oliver Rihs’ zweiter Berlin-Episodenfilm »#SchwarzeSchafe«
Von André Weikard
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Guter Rad teuer: Was tun, wenn die Rikscha brennt?

Sechsunddreißig Grad, und es wird noch heißer. Berlin kocht. Und bei manchem knallen die Sicherungen durch. Wenn da je welche zwischengeschaltet waren. Denn in »#SchwarzeSchafe« geht’s um die Durchgeknallten, die Verpeilten, die Träumer, die die Großstadt so lebendig machen.

Oliver Rihs, Schweizer Autor, Regisseur und Wahlberliner, hat schon einmal einen Film über die bunten Hauptstadtvögel gemacht, über schwule Umzugshelfer, türkische Teens auf der Suche nach dem ersten Sex und Satanisten auf der Suche nach einer nackten Frau für ein geplantes Ritual. 2006 kam der in die Kinos, hieß auch damals schon »Schwarze Schafe« (noch ohne Hashtag davor), und damals wie heute konnte Rihs die besten Schauspieler, die in Berlin zu kriegen sind, für seine Idee begeistern.

Spielten 2006 Robert Stadlober und Tom Schilling mit, sind diesmal unter anderem Frederick Lau und Jella Haase am Start. Milan Peschel, Marc Hosemann und andere dürfen sogar schon zum zweiten Mal ran und Berliner Originale spielen.

Originale wie den Krabbenfischer, der die invasiven Krebse aus der Spree holen und zu Geld machen will (Peschel), oder den tschechischen Drogendealer, der seinen Mund nicht halten kann und darüber einen Zeh einbüßt (Hosemann).

Ja, es geht derbe zu. Eine Armprothese wird in einen Anus eingeführt, ein Mann fällt vom Balkon, jemand hockt sich versehentlich auf den Haustiergecko, und Genderdolls werden gehandelt, wahlweise mit anklettbarem Penis oder Vulva.

Die Episodenfilme spielen mal im Neuköllner Drogenmilieu, wo Clanboss Omar (Yasin El Harrouk) sein Geschäft auf nachhaltig trimmen will: Einkauf im Unverpacktladen, Kurierfahrten in der Rikscha statt im SUV und Klimarap inklusive. Oder in der Berliner Platte, wo Fritz (Frederick Lau) seine Bienen versehentlich mit Speed gefüttert hat, was sie recht unleidlich macht. Über all der Hauptstadthitze und dem heillosen Tohuwabohu liegt die raue Stimme von Katharina Thalbach, die aus dem Off Philosophisches reimt.

Oliver Rihs hat »#SchwarzeSchafe« mit der Port-au-Prince-Film-&-Kultur-Produktion allein umgesetzt, kein Sender war beteiligt, keine Filmförderung hat reingequatscht. Ein seltener Umstand und vermutlich ein Glücksfall. Denn das Panorama einer Stadt im Ausnahmezustand funktioniert auch, weil es keine Rücksicht nimmt auf Political Correctness. »Na, waren wieder Auschwitz-Wochen im Discounter?« kommentiert eine Frau das gestreifte Outfit ihrer Nachbarin.

Was der Verleih als »anarchische Komödie« labelt, ist zwar bestenfalls schamlos, mitunter frech, aber nicht wirklich widerspenstig. Alles im Rahmen. Auch formal. Denn auch wenn der Ökoclanchef Omar schon mal psychedelische Episoden hat und mal ein schreiender Mund auf einen kreiselnden Ventilator geschnitten wird, finden die unterschiedlichen Erzählungen am Ende doch zu einem gemeinsamen Finale zusammen.

Gut so. Denn die einzelnen Episoden sind allesamt witzig, die Figuren sympathisch verkorkst und grandios besetzt. Die Schauspieler wirken, als ob sie Spaß an dem Dreh gehabt hätten, Krabbe am Hodensack und Sprung in die Spree hin oder her. Beste Voraussetzungen für Lacher auch im Kinosaal.

»#SchwarzeSchafe«, Regie: Oliver Rihs, BRD 2024, 99 Min., Kinostart: heute

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