Blutgrenzen
Von Nick Brauns
Am Wochenende verhandelten syrische und israelische Vertreter in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku noch über ein »Normalisierungsabkommen« zwischen ihren Ländern. Der syrische Präsident Ahmed Al-Scharaa scheint bereit, dafür weitgehende Zugeständnisse, einschließlich eines Verzichts auf den völkerrechtswidrig annektierten Golan, zu machen.
Doch nun bombardiert die israelische Luftwaffe erneut Ziele in Syrien – am Mittwoch wurden das Verteidigungsministerium und der Präsidentenpalast in Damaskus getroffen. Es handele sich um Warnschüsse, lässt Tel Aviv verlauten. Denn Al-Scharaa hat seine dschihadistischen Kopfabschneiderbanden in Marsch gesetzt, um die von Drusen bewohnte südsyrische Provinz Suweida unter Kontrolle zu bekommen.
Israels Anspruch als Schutzmacht der Drusen zielt zum einen darauf, sich weiterhin der Loyalität der eigenen drusischen Bürger zu versichern. Denn die Mehrzahl der rund 150.000 Drusen in Israel besitzt die israelische Staatsbürgerschaft, viele dienen auch in der Armee. Gleichzeitig fühlen sich die Drusen in Israel ihren Glaubensgeschwistern in Syrien eng verbunden.
Neben dieser innenpolitischen Stoßrichtung strebt Israel strategisch die dauerhafte Schwächung des Nachbarlandes an. Diesem Ziel diente bereits die Zerstörung großer Teile des von den neuen islamistischen Machthabern übernommenen Waffenarsenals bei einer Welle von Luftangriffen seit Ende letzten Jahres. Zudem fordert Tel Aviv, das seine Besatzungszone inzwischen bis 20 Kilometer vor Damaskus ausgedehnt hat, eine »entmilitarisierte Zone« in den südsyrischen Provinzen Kuneitra, Deraa und Suweida. Doch perspektivisch zielt Israel auf ein in Kleinstaaten zerstückeltes Land entlang ethnisch-religiöser Blutgrenzen, dessen Bewohner auf auswärtige Schutzmächte angewiesen wären.
Der von seinen Warlords zum Präsidenten ausgerufene Al-Scharaa hatte den alten Staatsapparat seines gestürzten Vorgängers Baschar Al-Assad unter neuen islamistischen Vorzeichen übernommen. Doch anders als Assad, der sich die Loyalität der nichtsunnitischen Minderheiten mit dem Schutzversprechen eines säkularen Polizeistaates zu sichern suchte, baut Al-Scharaa auf die sunnitisch-arabische Bevölkerungsmehrheit.
In ihrem Beharren auf ein zentralistisches sunnitisch-arabisches Syrien, das sie mit Gewalt zuerst gegen die Alawiten an der Küste, nun gegen die Drusen im Süden und perspektivisch gegen die Kurden und Christen im Norden des Landes durchzusetzen versuchen, befördert die islamistische Regierung erste separatistische Tendenzen unter den Minderheiten. Genau damit spielt sie Israel und anderen äußeren Akteuren in die Hände, die so weiterhin auf die Teile-und-herrsche-Strategie zur Einflussnahme im Bevölkerungsmosaik Syrien setzen können. Auch das dürfte ein Grund für die Wertschätzung sein, derer sich Ex-Al-Qaida-Mann Al-Scharaa bei westlichen Regierungen erfreut.
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