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Aus: Ausgabe vom 17.07.2025, Seite 4 / Inland
Postenvergabe durch Parteien

Ringen um Richterwahl

SPD-Kandidatin für Verfassungsgericht behält sich Rückzug vor
Von Kristian Stemmler
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ZDF-Talker Markus Lanz im Gespräch mit Frauke Brosius-Gersdorf (15.7.2025)

Auch knapp eine Woche nach der gescheiterten Wahl von drei Verfassungsrichtern im Bundestag hält die Debatte um die SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf Hofberichterstatter und Parteien in Atem. Im ZDF-Talk »Markus Lanz« zeigte sich die Potsdamer Staatsrechtlerin am Dienstag abend im Streit um ihre Person, der die »schwarz-rote« Koalition offenbar zu entzweien droht, kompromissbereit. Sie halte momentan an ihrer Kandidatur fest, erklärte Brosius-Gersdorf. Wenn aber dem Bundesverfassungsgericht durch die Debatte – auf welche Art auch immer – ein Schaden drohe, werde sie sofort zurückziehen.

Einen solchen Schaden könne sie »gar nicht verantworten«, denn Karlsruhe müsse in Ruhe arbeiten können und funktionsfähig bleiben, erläuterte die liberale Rechtsprofessorin. Auch wolle sie nicht verantwortlich sein »für eine Regierungskrise in diesem Land, weil wir nicht wissen, was dann hinterher passiert«. Es gehe darum, fügte Brosius-Gersdorf hinzu, »was passiert, wenn sich solche Kampagnen, und es war in Teilen eine Kampagne, durchsetzen, was das mit uns macht, was das mit dem Land macht, mit unserer Demokratie«.

Damit spielte sie auf weitere Angriffe gegen sie an: »Wir haben Drohungen bekommen, ich vor allem, per E-Mail, Poststücke mit verdächtigem Inhalt, die an meinen Lehrstuhl gesendet wurden«, sagte die Juristin, die an der Universität Potsdam einen Lehrstuhl für Öffentliches Recht innehat. Erneut wies sie Behauptungen zurück, sie sei »linksradikal«. Sie legt Wert auf die Feststellung, »absolut gemäßigte Positionen aus der Mitte unserer Gesellschaft« zu vertreten.

Von einem Kandidaturverzicht der Professorin will man bei Bündnis 90/Die Grünen allerdings nichts wissen. Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann forderte Brosius-Gersdorf am Mittwoch im ARD-»Morgenmagazin« auf, an ihrer Bewerbung festzuhalten. Auch wünsche sie sich, »dass die CDU/CSU sich nicht von der AfD so treiben lässt«. Der Bundestag müsse zeitnah zu einer Sondersitzung zusammentreten, um die am Freitag verschobene Richterwahl nachzuholen. Es dürfe keine »Hängepartie bis September« geben.

Die Partei Die Linke wies die Forderung der Grünen postwendend zurück. Sie sei »strikt gegen eine Sondersitzung, bis nicht alle Fakten auf dem Tisch liegen und auch geklärt sind«, betonte Parteichefin Ines Schwerdtner, ebenfalls im ARD-»Morgenmagazin«. Es koste etwa 200.000 Euro, wenn alle Bundestagsabgeordneten aus der Sommerpause zurückgeholt werden würden. Dies sei »überhaupt nicht zu legitimieren«. Schließlich sei die Regierung in der Pflicht, eine Einigung über die Kandidaten für das Verfassungsgericht herbeizuführen. Schwerdtner beklagte, dass sich die CDU einer beispiellosen Hetze gegen Brosius-Gersdorf von rechts gebeugt habe.

Unbeeindruckt vom Auftritt der SPD-Kandidatin bei »Markus Lanz« zeigte sich unterdessen die CDU-Bundestagsabgeordnete Gitta Connemann. Die Andeutung der Professorin, eventuell auf die Kandidatur verzichten zu wollen, trage nicht zur schnellen Lösung des Konflikts bei, sagte die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium in der Sendung »Frühstart« von RTL/ntv. Eine solche Frage werde »weder in Talkshows noch in den Medien« entschieden, sondern im Gespräch zwischen den Koalitionsfraktionen.

Bei der Kritik der Union an Brosius-Gersdorf hatten auch Plagiatsvorwürfe eine Rolle gespielt. Am Mittwoch wurde ein von der Juristin und ihrem Mann in Auftrag gegebenes Kurzgutachten publik, dem zufolge ihr kein Fehlverhalten vorzuwerfen sei. Die Prüfung habe ergeben, »dass die Vorwürfe unbegründet sind und keine Substanz haben«, erklärte die Stuttgarter Kanzlei Quaas und Partner. Es seien zwar Übereinstimmungen zwischen der Doktorarbeit von Brosius-Gersdorf und der Habilitationsschrift ihres Mannes feststellbar. Diese deuteten aber »allenfalls auf einen gedanklichen Austausch hin«. Wie lange die Juristin an ihrer Nominierung festhalten wird, bleibt offen.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Markus P. aus Frankfurt (17. Juli 2025 um 09:09 Uhr)
    Zu dem Thema hätte ich mir echt mehr gewünscht. Zumal zu den total verlogenen Vorwürfen von Rechten, Konservativen und Kirchen. Man überlässt denen von Seiten linker Medien das Feld.

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