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Aus: Ausgabe vom 15.07.2025, Seite 8 / Ansichten

Sieg rechter Hetzer

Verschobene Richterwahl
Von Arnold Schölzel
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Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD) und Kanzler Friedrich Merz (CDU) am Freitag im Bundestag

Die Koalition wird an der Verschiebung einer Richterwahl nicht scheitern. Die Wackelei allerdings ist symptomatisch. Schon der Kanzler erhielt am 6. Mai erst im zweiten Wahlgang eine Mehrheit. Nun wurde die nächste Wahl im Bundestag abgesagt, weil 50 bis 60 Abgeordnete aus CDU und CSU nicht für die SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf stimmen wollten.

Zwischen beiden Ereignissen leistete die Merz/Klingbeil-Regierung wenig – außer russophober und »Drecksarbeit«-Rhetorik sowie dem dazu passenden Abschreibungs- und Steuergeschenk für Großunternehmen, das der Bundesrat am Freitag absegnete. Das könnten CDU/CSU und SPD als Erfolg verbuchen, wäre es mehr als die Ausstellung eines ungedeckten Schecks. Aus dem Fiebertraum, Aufrüstung auf der Grundlage immenser Staatsschulden werde das Wirtschaftswachstum ankurbeln und die Stagnation, die seit 2017 anhält, beenden, sind die Koalitionäre noch nicht aufgewacht. Selbst die Sprachrohre des Kapitals sind mürrisch. Am Montag zitierte das Handelsblatt die »Wirtschaftsweise« Monika Grimm: »Die Stimmung hat sich zwar verbessert, aber wirtschaftspolitisch geliefert hat die Bundesregierung noch nicht.« Ihr Rezept: Ranziges aus der Mottenkiste des Neoliberalismus – Kürzungen im Sozialsystem, speziell bei Renten und im Gesundheitswesen. Das deutet auf Verschärfung des Klassenkampfes. Wenn die SPD demnächst in Umfragen unter zehn Prozent sinken sollte, besagt das: Die Rechnung »Kanonen und Butter« ist wieder einmal nicht aufgegangen.

Solange aber die Mobilisierung zum Krieg gegen Russland und Jubel über Genozid oder Bombardierung von Atomanlagen im Iran das absehbare Scheitern begleiten, nutzen Konservative und Faschisten die Vorlagen. Hetze ist ihr Feld, das sie gern zusammen mit CDU und CSU zusammen beackern. So wie sich im EU-Parlament eine Blockbildung von Christdemokraten mit extrem Rechten abzeichnet (siehe jW vom 14. Juli), kam es am Freitag im Bundestag wie am 31. Januar beim »Zustrombegrenzungsgesetz« zum Schulterschluss der für Faschisten offenen Gruppierungen in Medien und Politik mit Unionsabgeordneten, die auf AfD-Positionen stehen. Die Kampagne gegen die SPD-Kandidatin Brosius-Gersdorf, die sich auch schon mal für die Rente mit 70 ausgesprochen haben soll, begannen Anfang Juli rechte Internetportale wie Nius, Apollo News, Tichys Einblick, Compact, aber auch Zeitungen wie Junge Freiheit und Die Welt. Die AfD-Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch log, Brosius-Gersdorf trete für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch bis Minuten vor der Geburt ein, ihre AfD-affine CDU-Kollegin Saskia Ludwig orchestrierte alles mit.

Sie haben vorläufig gesiegt. Das sagt viel über den Zustand des Parlamentarismus aus: Wölfe mitten im Juli. Sie können Merz nicht stürzen, das besorgen er und Klingbeil selbst. Aber sie bereiten ihre eigene Zukunft vor.

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