Ein Stück vom Kuchen
Von Wiebke Diehl
Anfang Juni hat die EU ein »Hilfspaket« in Höhe von 175 Millionen Euro für Syrien zur Verfügung gestellt. Damit solle »der Wiederaufbau in syrischer Hand und unter syrischer Führung« vorangebracht werden, so die EU-Kommissarin für den Mittelmeerraum, Dubravka Šuica. Nachdem ein 14jähriger, von der EU gemeinsam mit Washington geführter Wirtschaftskrieg 90 Prozent der Bevölkerung unter die Armutsgrenze rutschen ließ, fördert Brüssel heute ganz offen die demokratisch nicht legitimierte, aus dschihadistischen Kämpfern und Menschenrechtsverbrechern zusammengesetzte »Regierung«, die Angehörige von Minderheiten massakriert, vertreibt, entführt, vergewaltigt und foltert.
Die EU-Sanktionen wurden aufgehoben, wobei gesonderte Strafmaßnahmen wegen der im März verübten Massaker an Tausenden Alawiten verhängt wurden. Die Befehle für diese Verbrechen stammten nachweislich von den Machthabern, die Verantwortlichen wurden teilweise mit Beförderungen belohnt. Erst vergangene Woche hat Amnesty International gefordert, ein von Damaskus erstellter Bericht über die Massentötungen müsse veröffentlicht, die Täter müssten zur Rechenschaft gezogen werden. Statt dessen dauern die Unterdrückung und Verfolgung von Syriens Minderheiten ebenso wie die Straflosigkeit an. Auch die USA haben die Syrien-Sanktionen aufgehoben und den Al-Qaida-Ableger Haiat Tahrir Al-Scham (HTS) des selbst eingesetzten Präsidenten Ahmed Al-Scharaa alias Abu Mohammed Al-Dscholani von der Terrorliste gestrichen.
Derweil geben sich in Damaskus diejenigen die Klinke in die Hand, die ein Stück vom Kuchen abhaben wollen. Am Wochenende wurde der Abschluss eines 800 Millionen US-Dollar schweren, mit 30jähriger Laufzeit versehenen Deals mit DP World bekannt. Das in Dubai ansässige Unternehmen soll den Hafen von Tartus sanieren. Bereits im Mai hatte Damaskus eine ebenfalls 30jährige Vertragslaufzeit mit dem französischen Reedereiriesen CMA CGM für den von ihm seit 2009 betriebenen Hafen von Latakia und das dortige Containerterminal vereinbart. Sowohl Latakia als auch Tartus waren Hauptschauplätze der im März verübten Massakerwelle gegen die alawitische Minderheit.
Insbesondere die Türkei weitet ihren wirtschaftlichen, politischen und militärischen Einfluss in Syrien beständig aus. Ende Juni unterzeichneten beide Länder eine Absichtserklärung zur Wiederaufnahme des direkten Landverkehrs und gingen damit einen wichtigen Schritt in Richtung Wiederherstellung ihrer jahrelang unterbrochenen bilateralen Handelsbeziehungen. Lkw können zukünftig die Grenze direkt überqueren, die Fracht muss nicht mehr auf andere Fahrzeuge umgeladen werden. Mindestens ebenso wichtig ist für Ankara der Teil des Abkommens, der die Einrichtung von Transitrouten über Syrien nach Jordanien, Saudi-Arabien, in die Vereinigten Arabischen Emirate, nach Katar und in andere Golfstaaten ermöglicht.
Das türkische Militär verfügt laut dem in der Türkei ansässigen Jusoor-Studienzentrum inzwischen über 126 Einrichtungen in Syrien, darunter zwölf Stützpunkte und 114 Außenposten. Auch im militärischen Bereich wurden langfristige Abkommen mit den Machthabern in Damaskus unterzeichnet. Zudem sind mehrere Kommandeure der von Ankara unterstützten und ebenfalls in die Massaker an den Alawiten involvierten Miliz Syrische Nationalarmee (SNA) in Spitzenpositionen im syrischen Verteidigungsministerium installiert worden.
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