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Aus: Ausgabe vom 15.07.2025, Seite 8 / Ansichten

General Winter des Tages: Moorlandschaft

Von Felix Bartels
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Der Limes, bei Wish bestellt

»Gar schaurig ist, übers Moor zu gehn, / Wenn’s wimmelt vom Heidenrauche, / Lafetten sich wie Phantome drehn, / Und der Russe häkelt am Strauche.« – Verse einer Zeit, da Natur noch ein Faktor war, die Schneekönigin in die Wand biss, und die Mutter heulenden Windes da draußen vom »handlosen Mann« fabulierte. Heute, im Zeitalter universeller Regression, sind wir wieder dort.

Umweltbewusstsein wird Weltunbewusstsein. Ökologie hat ihren Zweck nicht mehr in sich, sie wird unter vermeintlich höhere Zwecke geordnet. Die Zeitenwende besteht nicht zuletzt darin, Alltagsdenken durchzumilitarisieren. Selbst Brechts berühmtes Gespräch über Bäume kann nicht mehr unpolitisch sein, da der Wald geeignet ist, sich vorm herannahenden Iwan zu verstecken. Inmitten gewendeter Zeiten tickern Agenturen beinahe täglich von zivilen Akteuren, die dieses oder jenes Detail unseres Alltags aufs Militärische hin kämmen. Europa ist Helms Klamm geworden.

Als die ukrainischen Truppen 2022 einen nordwestlich von Kiew gelegenen Damm brachen, entstand eine renaturierte Moorlandschaft, die den russischen Angreifern das Vorrücken erschwerte. Heute gerät Oleksii Vasyliuk, die militärische Notmaßnahme romantisierend, ins Schwärmen. »Die Überschwemmung des Irpintals ist zum Symbol dafür geworden, wie die Natur eingesetzt werden kann, sich gegen Angreifer zu verteidigen«, sagt der Zoologe von der Ukrainischen Akademie der Wissenschaften. Und während Umweltschützer fordern, den Irpin zum »Heldenfluss« zu erklären, machen Wissenschaftler in Europa sich über eine umfassende »natürliche Verteidigungsstrategie« Gedanken. Ein Tausende Kilometer breites Feuchtgebiet soll die Russen hindern, irgendwann am Brandenburger Tor zu stehen. Europa, mit anderen Worten, in einen Sumpf verwandelt werden. Als ob es das nicht längst schon ist.

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