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Aus: Ausgabe vom 15.07.2025, Seite 4 / Inland
Staatsmodernisierung

Mut zur Zumutung

»Initiative für einen handlungsfähigen Staat« will Demokratie retten: Mit Überwachung, Bürokratierückbau und weniger Mitbestimmung
Von Niki Uhlmann
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»Manchmal wäre weniger eben mehr«, warb Steinmeier in Berlin für Staatsmodernisierung (14.7.2025)

Es gehe um nicht weniger als die Rettung des »politischen Vertrauens in unsere demokratische Ordnung«, leitete Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) etwas pathetisch die Vorstellung des Abschlussberichts der »Initiative für einen handlungsfähigen Staat« am Montag ein. Unter seiner Schirmherrschaft entwickelten die Exbundesminister Thomas de Maizière (CDU) und Peer Steinbrück (SPD), der ehemalige Bundesverfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle und die Medienmogulin Julia Jäkel eine Blaupause für eine angeblich glorreichere Zukunft.

Hatte Steinmeier 2020 noch das »beste Deutschland, das es jemals gegeben hat«, beschworen, fand er rund fünf Jahre später lauter »Herausforderungen, die nach einer umfassenden Reform und Modernisierung unseres Staates verlangen«. So sei das Wohnen zu teuer, der Fachkräftemangel zu groß, die Sanierung maroder Infrastruktur zu lahm. Abschließend stiftete Steinmeier in seinem Schlösschen Hoffnung: »Dieser Staat ist nicht prinzipiell reformunfähig.« Die Bundesregierung forderte er auf, die Vorschläge schleunigst umzusetzen.

Würden »in dieser Legislaturperiode nicht erste Erfolge sichtbar«, werde »unsere Demokratie Schaden nehmen«, spitzte Voßkuhle den Alarmismus zu, um daraufhin die jüngsten Einfälle der Initiative vorzustellen. Fünf Vorschläge seien seit dem Zwischenfazit im März ergänzt worden: »unverzügliche Einrichtung von Modellregionen«, bessere Integration von Eingewanderten, mehr »Schutz durch unsere Nachrichtendienste«, Eindämmung des »demokratiegefährdenden Einflusses sozialer Medien« sowie die Stärkung »staatlicher und gesellschaftlicher Institutionen«.

Im Bericht wird dann Klartext gesprochen. Zu mehr Schutz heißt es etwa, dass das »Misstrauen gegenüber Nachrichtendiensten in Deutschland historisch erklärbar« sei, angesichts der »hybriden Kriegführung« aber »nicht mehr handlungsleitend sein« dürfe. Gefordert wird die totale Überwachung: »biometrische Gesichtserkennung, Onlineuntersuchungen, Einsicht in Finanzdaten« und so weiter. In sozialen Medien müsse eine »frühzeitige Erkennung und Demaskierung von Desinformationskampagnen« stattfinden, selbst wenn das »rasch dem Vorwurf einer Zensur ausgesetzt« würde.

»Wirklich irre«, jubelte Jäkel, dass ein »Großteil der Empfehlungen« des Zwischenberichts sich im Koalitionsvertrag samt namentlicher Nennung der Initiative wiederfinde. Sie gab zu bedenken, dass aufwendige Veränderungsprozesse »eher im Verborgenen passieren« und »erst spät sichtbar« würden, also »politisch schwer vermittelbar« seien. Darum müssten jetzt alle mitmachen und zur Not zurückstecken, vom Ende des »Ressortdenkens« in der Regierung bis zum Bürger, der für »Akzeptanz von Reformen, die sich persönlich vielleicht gar nicht so gerecht anfühlen«, wirbt: »Es ist eben nicht die Politik, es sind wir.«

Was die Regierung darunter versteht, führte Karsten Wildberger (CDU), Bundesminister für Digitales und Staatsmodernisierung, aus. »Grundsätzlich ist Beteiligung ein Zeichen einer starken Demokratie, aber sie birgt auch die Gefahr, dass gute Ideen verwässern und an Wirksamkeit verlieren«, deutete er an, dass künftig weniger Mitbestimmung angesagt sein könnte. Deutschland brauche »mehr Mut auch dazu, einander etwas zuzumuten«. Das hören die unteren Abteilungen der Klassengesellschaft bestimmt gern. Der Staat müsse »künftig seinen Wert besser beweisen, seinen Return on Investment«, indem Kosten »innerhalb des Staatsapparats« gesenkt würden.

Wohl wissend, dass er damit neoliberalen Jargon gepredigt hat, stellte er klar, dass »Bürokratierückbau« für die Regierung »kein zweckhaftes Paradigma des Neoliberalismus« sei. Dennoch wären diese Maßnahmen »angesichts der angestauten Komplexität unseres Staates« notwendige Voraussetzung »für ein handlungs- und wettbewerbsfähiges Land«. Kurz darauf wechselte er wieder in den besagten Jargon und umriss seine »Modernisierungsagenda«. Diese sieht unter anderem vor, den »Wechsel zwischen Verwaltung und Wirtschaft zu fördern«.

Die Initiative will jungen Menschen zudem eine allgemeine Dienstpflicht aufhalsen, Gesetze mit Experimentierklauseln versehen und Behörden die Möglichkeit geben, von Regelungen zeitweise abzuweichen. Die Reduktion von Dokumentationspflichten als antibürokratischer Evergreen fehlt dabei natürlich nicht. Grundsätzlich kennzeichnet dieses ganze Unterfangen der simple Widerspruch, dass vier Funktionseliten – so oft sie auch behaupten mögen, »völlig unabhängig« (Voßkuhle) zu sein – im Namen der Demokratie am Koalitionsvertrag mitschreiben, ohne dafür auch nur im geringsten demokratisch legitimiert zu sein.

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  • Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (14. Juli 2025 um 23:51 Uhr)
    In den USA beauftragte man jüngst einen größenwahnsinnigen Egomanen mit der Zertrümmerung der administrativen staatlichen Ordnung, was diesem in nur kurzer Zeit dann auch in erheblichem Maße gelang. In Deutschland hingegen delegiert die neue Regierung mit präsidialem Segen diese »Drecksarbeit« an eine Viererbande, bestehend aus äußerst zwielichtigen und erzreaktionären Gestalten. Bleibt abzuwarten, ob dieses Quartett auch so »effizient« und »erfolgreich« sein wird wie der überseeische Psychopath mit der Kettensäge!

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