Kanzler tritt nach unten
Von Kristian Stemmler
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hat nie einen Zweifel daran gelassen, dass er sich die Milliarden, die für die Aufrüstung aufgebracht werden sollen, vor allem bei den Beziehern staatlicher Transferleistungen holen will. Im ARD-»Sommerinterview« führte er am Sonntag aus, wie er sich Einsparungen in diesem Bereich so vorstellt. Merz schlug vor, bei der geplanten »Reform« der Grundsicherung die Mietzuschüsse für Bezieher des sogenannten Bürgergelds zu kürzen. Dabei spielte er Erwerbslose gegen Erwerbstätige mit geringem Einkommen aus – bei Konservativen nicht unüblich.
Die bisher gezahlten Beträge seien zu hoch und stünden »auf dem Prüfstand der Koalition«, erklärte der Kanzler. »Pauschalierung« sei möglich, geringere Sätze ebenso und auch eine Überprüfung der vom Staat unterstützten Wohnungsgrößen. Zur Begründung verwies Merz in perfider Logik auf die hohen Mietkosten in Großstädten. Dort würden vom Sozialamt oder der Bundesagentur teilweise bis zu 20 Euro pro Quadratmeter für die Miete übernommen: »Wenn Sie das mal hochrechnen, das sind bei 100 Quadratmetern schon 2.000 Euro im Monat.« Das könne sich eine »normale Arbeitnehmerfamilie« nicht leisten, und »deshalb entstehende Spannungen« wolle die Regierung abbauen.
Nach Einschätzung des CDU-Chefs gibt es bei der ab dem kommenden Jahr geplanten Umwandlung des Bürgergelds in eine »neue Grundsicherung« erhebliche Einsparmöglichkeiten. Da sei »mehr einzusparen als nur ein oder zwei Milliarden«. Der »Systemwechsel« müsse aber »schrittweise« erfolgen. Merz blieb auch das Mantra der Unionspolitiker beim Thema nicht schuldig: Ziel der Grundsicherung müsse es sein, »dass diejenigen, die die Hilfe des Staates wirklich brauchen, sie auch in Zukunft bekommen«. Bei »plötzlicher Arbeitslosigkeit« könne er sich sogar eine Anhebung der Sätze vorstellen, so dass die Menschen Sicherheit hätten, wenn sie wieder eine Stelle suchten.
Wirken solle die »Reform«, so der Kanzler weiter, gegen Schwarzarbeit und »organisiertes Aufstocken« von geringfügiger Beschäftigung oder von Teilzeitlohn mit Bürgergeld. In diesem Zusammenhang wärmte er einen Vorwurf auf, den Arbeits- und Sozialministerin Bärbel Baas bereits kurz nach Amtsantritt erhoben hatte. Zum Teil werde das »sogar richtig organisiert: dass Menschen nur in geringfügige Beschäftigung gehen, Aufstocker werden, Schwarzarbeit machen«, sagte Merz. Da sei »das System falsch«. Experten haben mehrfach darauf hingewiesen, dass dieses »organisierte Aufstocken« keinen nennenswerten Umfang hat.
Beim Koalitionspartner der Union zeigte man sich wenig begeistert vom Vorstoß des Kanzlers. Sein Vorschlag zur Begrenzung des Wohngelds sei »wenig ausgegoren«, kritisierte SPD-Fraktionsvize Dagmar Schmidt. Das Problem teuren Wohnraums lasse sich nicht »durch mehr Obdachlosigkeit« lösen. Schon heute seien die Wohnungsgrößen für Bürgergeldbezieher begrenzt. Um das Problem knappen und teuren Wohnraums zu lösen, seien die beschlossene Verlängerung der Regelung zur Mietpreisbremse und Investitionen in bezahlbare Wohnungen sinnvoller, so Schmidt.
Merz bemerkte in der ARD im übrigen auch, dass über das Leistungsniveau der Sozialversicherungen zu reden sein werde. Sören Pellmann, Fraktionschef von Die Linke im Bundestag, wertete diese Äußerung als »Ankündigung eines großangelegten Angriffs auf den Sozialstaat«. Merz habe zugeben, »dass heutige Durchschnittsmieten für ›normale‹ Arbeitnehmerfamilien nicht mehr finanzierbar seien«. Aber statt eines Mietendeckels und umfangreichen Neubaus lege er es darauf an, »dass Bürgergeldbeziehende obdachlos werden«. Die von ihm geforderte Deckelung der Mietzuschüsse sei »schäbigstes Nach-unten-Treten«, so Pellmann.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (15. Juli 2025 um 07:55 Uhr)Es ist bemerkenswert, dass die Linke bereits Anfänge dessen registriert, was jedem Bürger ohnehin klar ist: Dass es unter Merz einen großangelegten Angriff auf den Sozialstaat geben wird. Schließlich muss das Geld, das für Rüstung und Militär aus dem Fenster geworfen wird, irgendwo herkommen. Wir alle müssten unsere Portemonnaies für die entsprechenden Notwendigkeiten öffnen, präzisierte gerade der Herr Pistorius von der SPD und meinte damit natürlich vor allem die, die ohnehin schon am wenigsten haben. Täglich erreichen uns konkrete Meldungen, wo überall schon heute schmerzhaft »gespart« wird. Ist es da nicht niedlich, dass der Fraktionsvorsitzende der Linken meint, es handele sich nur um Ankündigungen? Dass gegen diesen Kurs nicht geschwätzt werden, sondern realer Widerstand organisiert werden muss: Woher soll die Linkenspitze das wissen? Das Absondern von rhetorischen Luftblasen gehört dazu, wenn man im Elfenbeinturm zu Hause ist und längst nicht mehr weiß, was Kämpfen wirklich bedeutet und wie man das macht.
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