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Aus: Ausgabe vom 14.07.2025, Seite 6 / Ausland
Türkei

Friedensprozess ungewiss

Türkei: Erdoğan hält nach symbolischer Waffenniederlegung der PKK viel erwartete Rede – ohne bedeutende Zugeständnisse
Von Tim Krüger, Sulaimanija
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Was bekommen sie im Gegenzug? Am Freitag verbrannte eine PKK-Gruppe ihre Waffen (Sulaimanija, 11.7.2025)

Zwei Tage nach der symbolischen Waffenniederlegung der PKK in der kurdischen Autonomieregion des Nordiraks rückt das Ringen um den politischen Lösungsprozess nach der Rede des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan wieder in den Vordergrund. Während die Rede am Sonnabend morgen mit Spannung erwartet worden war, hatten Beobachter bereits vermutet, dass es sich eher wieder um die nötigsten Zugeständnisse als um eine wirkliche Trendwende der türkischen Politik handeln würde.

Tatsächlich wurde von Erdoğan nur die ohnehin schon erwartete parlamentarische Kommission angekündigt, die sich mit rechtlichen Fragen rund um den Prozess befassen soll. In seiner Rede gab er dennoch erstmals offen Fehler zu, die seine Vorgängerregierungen begangen hätten. Er nannte neben den Morden durch die türkische Geheimdienstorganisation Jitem auch das Niederbrennen von Dörfern und die Zustände in dem in Amed (auf türkisch: Diyarbakir) liegendem Gefängnis, in dem Anfang der 80er Jahre führende Vertreter sowie Sympathisanten der kurdischen Bewegung schwer gefoltert und zum Teil ermordet wurden. Ob Erdoğan diese selbstkritischen Töne auch auf seine eigene Regierung überträgt und etwas an den aktuellen Verhältnissen für politische Gefangene in den türkischen Gefängnissen ändert, ist derweil ungewiss.

Bis jetzt waren solche – wenn auch nur verbalen – Zugeständnisse von offizieller Seite kaum denkbar gewesen. Doch nicht zuletzt die andauernden türkischen Angriffe auch nach der symbolischen Waffenniederlegung gegen Stellungen der PKK in der besonders strategischen Region Garê im Nordirak zeigen, dass der Prozess noch lange nicht in trockenen Tüchern ist. Nach Angaben der NGO Community Peacemaker Teams im Nordirak, die Militäroperationen in der Region und deren Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung dokumentiert, haben die Angriffe seit März stark zugenommen, während sie an anderen Frontabschnitten fast gänzlich zum Erliegen gekommen waren. Anfang März hatten die Guerillaeinheiten der PKK, nach dem entsprechenden Aufruf von PKK-Gründer Abdullah Öcalan, eine einseitige Waffenruhe erklärt.

In Sulaimanija, unweit des Ortes, an dem die Waffenniederlegung am Freitag durchgeführt wurde, sind sich viele der Chancen, als auch der Gefahren des Prozesses bewusst. Während offizielle Vertreter der Region Sulaimanija ebenfalls an der Zeremonie teilnahmen und die Transition hin zu einer friedlichen politischen Auseinandersetzung begrüßten, erhoffen sich viele Bewohner der Millionenstadt einen Aufschwung durch den Prozess. Gerade der Flughafen von Sulaimanija ist dabei ein großes Politikum. Die Türkei hatte vor geraumer Zeit alle Direktflüge von und zu dem Flughafen gestoppt – mit der Begründung, dass dieser von der PKK genutzt werden würde. Ein großer wirtschaftlicher Verlust für die Stadt und Region.

In der Türkei wurde mit Erdoğans Rede erneut auch in der Öffentlichkeit die Diskussion über die nächsten Schritte im Dialogprozess angestoßen. Während der Präsident eine Allianz zwischen den Regierungsparteien AKP und MHP mit der linken und prokurdischen Dem-Partei betonte, ist Letztere darauf bedacht, die weiteren Oppositionsparteien in den Prozess einzubeziehen. Der kurdische Politveteran Ahmet Türk, der selbst noch im November als Dem-Bürgermeister der kurdischen Stadt Dersim abgesetzt worden war, erklärte, nicht in sein Amt zurückzukehren, solange weitere Bürgermeister der größten Oppositionspartei CHP abgesetzt werden würden. Während die Absetzungen von Dem-Bürgermeistern in den vergangenen Monaten parallel zu den Gesprächen der türkischen Regierung und der kurdischen Bewegung zurückgegangen waren, wurden mehrere CHP-Bürgermeister in der Westtürkei abgesetzt und inhaftiert.

Die Dem-Partei kündigte ebenfalls an, weitere Foren zum Prozess abhalten zu wollen, um auch die Öffentlichkeit daran teilhaben zu lassen. Auch Vertreterinnen der »Friedensmütter«, die zum Teil ihre Kinder in den vergangenen Jahren verloren haben, betonen die Rolle der Öffentlichkeit im Prozess. Man wolle nicht, dass noch weiteres Blut vergossen werde. Trotz des Verlusts und aller Entrechtung, stehe man weiter für den Frieden ein.

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