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Aus: Ausgabe vom 14.07.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
EU

Von der Leyen auf Rechtskurs

Nicht nur bei Hochrüstungsprogramm entschied EU-Kommissionspräsidentin am Parlament vorbei. In ihrer informellen Koalition wächst der Unmut
Von Jörg Kronauer
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Noch weiter nach rechts? Meloni weist von der Leyen die Richtung (Rom, 10.7.2025)

In Brüssel geht es kurz vor der Sommerpause hoch her: Erst der Misstrauensantrag gegen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in der vergangenen Woche, dann ab Mittwoch die Vorstellung des Entwurfs für den neuen mehrjährigen Finanzrahmen für die Jahre von 2028 bis 2034 – den weit mehr als eine Billion Euro umfassenden Etat der EU. Von der Leyen pokert: Sie sucht die Macht der Kommission auf Kosten des EU-Parlaments und der Mitgliedstaaten zu stärken. Zugleich zeichnen sich spürbar Risse in ihrer bisherigen informellen Koalition im EU-Parlament ab, die von der konservativen EVP über die Liberalen (Renew) und die Sozialdemokraten (S & D) bis zu den Grünen reicht. Den Misstrauensantrag gegen ihre Kommission hat von der Leyen zwar einigermaßen glimpflich überstanden. Vielen gilt ihre Position trotzdem als deutlich geschwächt.

Gegenwind für Präsidentin

Da wäre zum einen die Tatsache, dass in den Fraktionen der Sozialdemokraten und der Grünen der Unmut über von der Leyen wächst. Ursachen dafür sind etwa die schrittweise Abkehr der Kommission von Zusagen in der Klimapolitik, die fortwährende Brutalisierung der Flüchtlingsabwehr und vor allem der Schwenk nach rechts, der erforderlich ist, wenn man sich im Parlament Mehrheiten für eine solche Politik sichern will – denn Sozialdemokraten und Grüne gehen beim Rückbau des Green Deals sowie bei den beinharten Abschiebemaßnahmen, allem Opportunismus zum Trotz, nicht beliebig mit. Es ist ein Resultat der in Klima- und in Flüchtlingsfragen weit nach rechts gerückten Politik der Kommission, dass sich die EVP-Fraktion, der von der Leyens CDU angehört, sukzessive für eine Kooperation mit einigen Parteien der ultrarechten EKR-Fraktion geöffnet hat – insbesondere mit den Fratelli d’Italia (FdI) von Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni.

In den Fraktionen der Sozialdemokraten und der Grünen soll es Berichten zufolge vor der Abstimmung über den Misstrauensantrag gegen die Kommission heftige Debatten gegeben haben – und dies, obwohl eigentlich klar war, dass kaum ein Mitglied dieser Fraktionen für den Antrag stimmen würde, da er, aus der ultrarechten EKR-Fraktion kommend, für beide faktisch nicht zustimmungsfähig war. Wenngleich die Sozialdemokraten von der Leyen ein paar kleine Zugeständnisse für die mehrheitliche Ablehnung des Antrags abringen konnten, blieb rund ein Viertel ihrer Abgeordneten der Abstimmung gezielt fern; bei den Grünen tat dies sogar mehr als ein Drittel. Das sei ein »Denkzettel«, erklärte René Repasi, Vorsitzender der SPD-Gruppe im EU-Parlament. Andere äußerten sich erheblich offensiver. Die Kommission habe unter von der Leyen »das Mandat verraten«, das sie »vor einem Jahr erhalten« habe, erklärte etwa die italienische S-&-D-Abgeordnete Cecilia Strada; das betreffe vieles – »die Migrationspolitik, die Lage in Palästina, die Aufrüstung, das Klima und die Sozialpolitik«. Strada nahm an der Abstimmung nicht teil.

Umgekehrt hat von der Leyen keine umfassende Unterstützung auf der Rechten – noch. Nur drei der 79 EKR-Abgeordneten stimmten gegen den Misstrauensantrag und stärkten ihr so den Rücken. 39 stimmten für den Antrag und sprachen von der Leyen damit ihr Misstrauen aus – und dies, obwohl der EKR-Fraktionsvorsitzende Nicola Procaccini vorab eindringlich davon abgeraten hatte. Procaccini gehört den FdI an, die mit Raffaele Fitto einen der geschäftsführenden Vizepräsidenten der Kommission stellen und auch sonst zuverlässig mit von der Leyen kooperieren. Seine Einwände halfen nicht. Sogar die FdI-Gruppe innerhalb der EKR-Fraktion ließ sich nicht dazu bringen, für von der Leyen zu stimmen – sie blieb der Abstimmung fern: Allzu verhasst ist die EU-Kommissionspräsidentin unter Rechten aufgrund ihrer Kooperation mit den Grünen in Sachen Green Deal. Geschlossen gegen von der Leyen stimmten die beiden anderen Rechtsaußenfraktionen – die Patriots for Europe (PfE) um den französischen Rassemblement National (RN), die FPÖ, die spanische Vox und den Fidesz des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, ebenso die Fraktion Europe of Sovereign Nations (ESN) um die AfD.

Parlament weiter entmachtet

Von der Leyens schwächelnde Position im EU-Parlament korrespondiert mit Versuchen, den Einfluss des ohnehin recht zahnlosen Abgeordnetenhauses noch weiter zu reduzieren. Die Kommissionspräsidentin hatte schon im März das bis zu 800 Milliarden Euro schwere Hochrüstungsprogramm der EU, Rearm Europe, unter Umgehung des Parlaments in Kraft gesetzt und sich dafür auf Artikel 122 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU berufen, der eigentlich für akute Notlagen vorgesehen war. Dies hatte sogar der EVP-Vorsitzende Manfred Weber (CSU) einen »Fehler« genannt. Von der Leyen hatte darüber hinaus erst vor kurzem einen Parlamentsantrag, der praktische Maßnahmen gegen »Greenwashing« vorsah, kurzfristig eigenmächtig zurückgezogen; in den Fraktionen der Sozialdemokraten und der Grünen hatte sie damit ernsten Unmut ausgelöst. Eine weitere Zentralisierung von Entscheidungsmacht bei der Kommission soll nun der European Competitiveness Fund bringen, den von der Leyen am Mittwoch im Rahmen der Vorstellung des nächsten mehrjährigen Finanzrahmens für die Jahre von 2028 bis 2034 offiziell präsentieren will. Er wird die Kontrollbefugnisse des EU-Parlaments schwächen und der Kommission einen größeren Einfluss auf die EU-Mitgliedstaaten verschaffen. Brüssel soll so – in Zeiten sich ausweitender und eskalierender Krisen – schlagkräftiger werden.

Hintergrund: EU-Kommission will mehr Kontrolle

Der neue Europäische Fonds für Wettbewerbsfähigkeit (European Competitiveness Fund, ECF) nimmt in den Plänen der EU-Kommission für den neuen mehrjährigen Finanzrahmen einen zentralen Stellenwert ein. Im Kern will Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mehr als ein Dutzend bislang einzeln verwaltete Programme im ECF bündeln. Dies soll die Verwaltung der Gelder vereinfachen und die Bürokratie reduzieren. Zugleich stärkt es die Kontrolle der Kommission über die Mittelvergabe. Dies wiederum löst Kritik aus. So zitierte Table.media den EU-Abgeordneten Jens Geier (SPD) mit dem Hinweis, es sei »völlig unklar«, welche Kriterien die Kommission bei der Verteilung der Gelder anwende. Lucas Resende, ein Experte der Bertelsmann-Stiftung, warnte, die Pläne schwächten die Aufsicht durch das EU-Parlament: Das »reduziert die demokratische Kontrolle«. Die ist in der EU bekanntlich ohnehin nicht übermäßig ausgeprägt.

Es kommt hinzu, dass die Kommission die Mittel in Zukunft stärker »leistungsbasiert« vergeben will: Nur Staaten, die bestimmte Vorgaben erfüllen, sollen sie bekommen. Schon heute werden EU-Mittel an die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit geknüpft – was es erlaubt, missliebige Regierungen zu bestrafen, zur Zeit insbesondere die ungarische Regierung unter Ministerpräsident Viktor Orbán. Die Kriterien ließen sich jederzeit ausweiten, etwa auf die Einhaltung der EU-Schuldenregeln. Das erinnere an die verhasste Politik der EU-Troika in der Griechenland-Krise, warnte Geier gegenüber dem Webportal The Pioneer: »Dann würde sich die Kommission so benehmen wie der Internationale Währungsfonds zu seinen schlimmsten Zeiten.«

Durchsetzbar oder nicht: Die Bundesregierung hat dem Vorhaben bereits zugestimmt. »Ein leistungsbasierter Ansatz mit Meilensteinen und Zielen kann einen Beitrag zur Steigerung der Effektivität europäischer Ausgaben leisten«, teilt sie in einem Papier zum EU-Haushalt mit. (jk)

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