Erste Videobotschaft von Abdullah Öcalan seit 27 Jahren

Im Vorfeld der für Freitag angekündigten Waffenniederlegung einer Gruppe der Guerilla im Nordirak wandte sich der Gründer der Arbeiterpartei Kurdistans PKK, Abdullah Öcalan, am Mittwoch das erste Mal in seiner 27jährigen Gefangenschaft in einer bereits am 19. Juni aufgezeichneten Videobotschaft an seine Anhänger:
Werte Genossinnen und Genossen,
ich betrachte es als meine ethische Pflicht, euch angesichts der aktuellen Lage unserer kommunalistischen Bewegung noch einmal mit einem umfassenden, erläuternden und gleichzeitig kreativen Schreiben Auskunft zu geben – seien es die erreichten Entwicklungen, die konkret gelebte Situation, bestehende Probleme oder mögliche Lösungswege.
Ich stehe weiterhin hinter dem Aufruf für Frieden und eine demokratische Gesellschaft vom 27. Februar 2025. Dass ihr mit dem 12. Auflösungskongress der PKK inhaltlich umfassend und positiv darauf geantwortet habt, werte ich als eine historische Resonanz. (…) Ich möchte deutlich hervorheben, dass all diese Entwicklungen aus den Gesprächen hervorgegangen sind, die ich auf İmralı geführt habe. (…)
Die PKK-Bewegung, deren Grundlage in der Leugnung der Existenz und im Ziel eines eigenen Nationalstaates lag, sowie die darauf aufbauende Strategie des nationalen Befreiungskampfes sind beendet worden. Die Existenz des kurdischen Volkes wurde anerkannt – das zentrale Ziel ist damit erfüllt. In diesem Sinne hat das Projekt seinen historischen Auftrag erfüllt. Alles darüber Hinausgehende würde in bloße Wiederholung und politische Sackgassen führen. (…)
Das Ziel von Frieden und einer demokratischen Gesellschaft kann nur erreicht werden, wenn alle auf Grundlage einer positiven und internationalistischen Perspektive handeln. Die PKK hat sich von ihrem nationalstaatlichen Ziel und der damit verbundenen Kriegsstrategie verabschiedet und ist als Organisation zu einem Abschluss gekommen. (…)
Es ist als folgerichtig und notwendig zu betrachten, dass die freiwillige Niederlegung der Waffen sowohl gegenüber dem Parlament (TBMM) und einer gesetzlich zu verankernden Kommission als auch gegenüber der breiten Öffentlichkeit in transparenter Weise vermittelt wird. (…) Die Einrichtung eines institutionalisierten Mechanismus zur Entwaffnung stellt in diesem Zusammenhang einen entscheidenden Schritt zur Vertiefung des begonnenen Transformationsprozesses dar. Der Übergang von einer auf bewaffnetem Widerstand basierenden Phase hin zu einer Phase demokratischer Politik und rechtsstaatlicher Ausgestaltung vollzieht sich dabei nicht unter Zwang, sondern ist Ausdruck einer bewussten und historischen Entscheidung. (…)
Was meine eigene Freiheit betrifft, die in sämtlichen Beschlussfassungen als unverzichtbare Bedingung verankert wurde, so sei erneut betont: Ich habe meine Freiheit niemals als bloß individuelles Anliegen verstanden. Aus philosophischer Perspektive kann die Freiheit des Einzelnen nicht losgelöst von der Freiheit der Gesellschaft gedacht werden. Denn nur in dem Maße, in dem sich das Individuum befreit, wird auch die Gesellschaft frei – und umgekehrt. (…)
Ich glaube nicht an die Macht der Waffen, sondern an die Kraft der Politik und des gesellschaftlichen Friedens. Auch euch rufe ich auf, diesen Grundsatz in die Tat umzusetzen. (…)
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