Frucht des Revisionismus
Von Nick Brauns
Nach wiederholten faschistischen Provokationen hat die Gedenkstätte Buchenwald einen neuen Leitfaden »Problematische Marken, Codes, Symbole und Zeichen rechtsradikaler und antisemitischer Gruppierungen« veröffentlicht. Dieser soll Mitarbeitern der Bildungsabteilung und Security nach Angaben der Gedenkstättenleitung dazu dienen, rechtsextrem und antisemitisch konnotierte Codes bei Besuchern zu erkennen. Allerdings zielt die zu Wochenbeginn an die Öffentlichkeit gelangte »interne« Handreichung weit über einschlägige Nazisymbolik hinaus.
Denn auch vermeintlich »antisemitische und antizionistische Organisationen jenseits des rechtsradikalen Spektrums« wollen die Autoren der Broschüre ausgemacht haben – vor allem kommunistische Gruppierungen. So hätten Kommunisten zum Jahrestag der Befreiung des KZ oder beim Gedenken an den dort ermordeten KPD-Vorsitzenden Ernst Thälmann versucht, »den historischen Ort für ihre Zwecke, darunter ihre antizionistischen Positionen, zu nutzen«. Doch nach Schoah und israelischer Staatsgründung müsse der Antizionismus »als eine Form des Antisemitismus betrachtet werden«. In dieser verqueren Perspektive wird die Forderung »Ceasefire now« zur »israelfeindlichen Parole«, die ebenso wie der Genozidvorwurf und das Symbol der Wassermelone zum »eingespielten Kanon« bei »antijüdischen Mobilisierungen« gehöre. Auch das Tragen einer Kufija könne das Sicherheitsgefühl von Juden in der Gedenkstätte negativ beeinflussen. Tatsächlich wurden bereits Kommunisten wegen eines Palästinensertuches von dem Ort verwiesen, an dem einst Tausende Kommunisten inhaftiert und ermordet wurden.
Verwundern kann das nicht. Schließlich fand nach 1990 eine systematische Revision des einst in der Gedenkstätte vermittelten antifaschistischen Geschichtsbildes statt. Dabei wurde etwa der organisierte Widerstand insbesondere der kommunistischen Häftlinge und ihre Selbstbefreiung zunehmend zugunsten einer ohnmächtigen Opferdarstellung ausgeblendet.
»Heute ist die Gedenkstätte – neben ihren Aufgaben als Friedhof und Ort des Gedenkens – ein Lernort, der all denjenigen offensteht, die sich dem historischen Ort in der Absicht nähern, dass sich seine Geschichte nicht wiederholen darf« – so steht es auf der Website. Wer aber den Schwur von Buchenwald – »Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel« – ernst nimmt und universell versteht, riskiert dort heute ein Hausverbot.
In der DDR war die Nationale Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald das sichtbare Symbol antifaschistischer Staatsräson. Doch nach deren Ende führte auch auf dem Ettersberg der Weg der Erinnerungspolitik über verschiedene Zwischenstufen zur heute geltenden imperialistischen Staatsräson bedingungsloser Unterstützung Israels. Der zionistische Staat erledigt laut Kanzler Merz schließlich die »Drecksarbeit für uns alle«.
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Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (9. Juli 2025 um 02:20 Uhr)»Doch nach Schoah und israelischer Staatsgründung müsse der Antizionismus ›als eine Form des Antisemitismus betrachtet werden‹.« Ja, das will man uns seit Jahrzehnten einreden. Doch die Politik Israels bzw. der Zionismus wird weltweit von vielen Juden, auch von jüdischen Organisationen missbilligt, die sich dadurch nicht vertreten fühlen. Sogar die werden dann von der israelischen Regierung als antisemitisch bezeichnet. Dazu müsste jedoch zunächst geklärt werden, was dann im positiven Sinne semitisch oder ein semitischer Staat ist – etwa Israel allein? »Die semitischen Sprachen sind ein Zweig der afroasiatischen Sprachfamilie. Sie werden heute von ca. 260 Millionen Menschen in Vorderasien, in Nordafrika und am Horn von Afrika gesprochen. Wichtige semitische Sprachen sind Arabisch, Hebräisch, die neuaramäischen Sprachen, eine Reihe von in Äthiopien und Eritrea gesprochenen Sprachen wie Amharisch und Tigrinya sowie zahlreiche ausgestorbene Sprachen des Alten Orients wie Akkadisch. Zu den semitischen Sprachen zählt auch das in Europa beheimatete Maltesische.« (Wikipedia) Wenn Israel alles, was gegen seine Politik gerichtet ist, als Antisemitismus bezeichnet, handelt es sich in Wirklichkeit um einen imperialistischen Alleinvertretungsanspruch, wohlbekannt auch beim Verhältnis zwischen BRD und DDR. Der Staat Israel handelt mit der Unterdrückung der Palästinenser und Okkupation arabischer Gebiete seit 1948 selbst antisemitisch, weil eben auch andere Völker zu den Semiten gehören. In Gaza wurden mehr Semiten umgebracht als in Buchenwald. Ich würde mich zwar der oft geäußerten Meinung nicht anschließen, Gaza sei ein Freiluftkonzentratrionslager. Aber mit dem Ghetto in Warschau einschließlich der kompletten Rechtlosigkeit sowie den Todesraten seiner Bewohner würde ich es schon vergleichen, nicht nur in Anbetracht der Schutthaufen. Nur wird dieses Mal kein Arnold Schönberg »Ein Überlebender aus Gaza« komponieren. Falls doch, würde es im Wertewesten nie gespielt werden.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Torsten Andreas S. aus Berlin (8. Juli 2025 um 23:35 Uhr)Verblüffend! Wer dem Zionismus nicht zustimmt, ist nun auch Antisemit. Das bedeutet, ums mal klarzustellen: Wer von Zion entfernt lebt, vom Tempel, von den Kohanin, von Reinheit wie Schuldenaufgabe laut der Thora allein Frieden im Geiste hinnimmt, hat die christliche Erleuchtung versäumt? Und soll das Recht haben, Erez Israel nicht nur zu fordern, sondern auch durchzusetzen? Schritt für Schritt laut Ultraorthodoxie nicht bis nur nach Bagdad, sondern bis nach Georgien? Verblüffend, was für die Regierenden in Berlin unter Staaatsraison fallen können soll. Sie waren – eine der G-7-Staaten! – davon überrascht, wohin die ultrarechte/von der Ultraorthodoxie beschönigte Weltreise noch gehen wird. Eine letzte Frage: Als sie Herrn Herzls Buch Judenstaat gelesen haben, wurden da nur drei oder fünf weitere semitische Volksgruppen/Völker/Ethnien genannt? Wie viele waren Herzl bekannt? Dem Vordenker der Jüdischen, der es seinem Sohn ersparte, als Beschnittener dazuzugehören? Der war Baptist. Seltsam, oder?
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